Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
hat unsere Kleine neue Seiten in ihr geweckt?« Horatio sagte diese Worte so hoffnungsvoll, dass Ruth ihre Zweifel für sich behielt. Womöglich hatte Horatio sogar recht. Was wusste sie schon von ihrer Mutter? Am Ende war es bei ihr so wie bei allen anderen hier auf der Farm. Vielleicht hatte auch sie immer nur die Oberfläche gesehen und niemals hinterfragt, was sich hinter der Fassade verbarg.
»Pass bitte gut auf sie auf, ja? Ich befürchte immer noch, dass meine Mutter etwas ausheckt. Aber ich kann bei Gott nicht erraten, was es ist.« Ruth löste sich aus Horatios Umarmung.
»Vielleicht mag sie die Kleine wirklich. Wer weiß das schon? Manche Frauen entdecken erst sehr spät die Mutter in sich.«
Ruth sah Horatio spöttisch an. »Das glaubst du doch selbst nicht.«
»Stimmt. Aber ich möchte es gern glauben. Genauso sehr wie du übrigens«, gab Horatio zu. »Ich habe keine Ahnung, was Roses Sinneswandel bewirkt haben könnte. Einstweilen müssen wir wohl abwarten.« Er seufzte, und Ruth sah ihm an, dass jedes Übel, das Sally betraf, auch ihn treffen würde.
Nein, dachte sie. Nein, nein und nochmals nein! Ich gebe Sally nicht her. Ich werde sie beschützen. Wenn es sein muss, mit allem, was ich habe. Wer auch immer es wagt, der Kleinen auch nur ein Haar zu krümmen, wird mich kennenlernen. »Nein!«, rief sie und stampfte mit dem Fuß auf wie ein ungezogenes Kind. »Nein! Was immer auch geschieht, ich gebe Sally nicht mehr her! Sie ist bestimmt Amas Tochter, das spüre ich. Schlimm genug, dass sie tot ist. Santo und Thala werden vor Trauer vergehen, aber sie sind alt. Sally ist hier besser aufgehoben. Und überhaupt: Wahrscheinlich wollen Santo und Thala die Kleine gar nicht. Bei uns, das muss doch jeder einsehen, ist sie am besten aufgehoben.«
Sie machte Anstalten, das schlafende Kind erneut aus dem Körbchen zu nehmen und an ihre Brust zu drücken, doch Horatio hielt sie zurück. »Sally bleibt bei uns. Wir werden um sie kämpfen, ganz gleich, was geschieht. Das verspreche ich dir. Aber jetzt muss sie schlafen. Komm, lass sie hier, lass sie bei Mama Elo.«
Widerstrebend trat Ruth einen Schritt vom Korb zurück. »Du achtest auf sie, nicht wahr?«
»Wie auf mein Leben«, erwiderte Mama Elo.
»Du lässt Corinne nicht in ihre Nähe?«
»Ich werde immer näher bei ihr sein als jeder andere. Euch beide natürlich ausgenommen.«
»Gut.« Ruth nickte erleichtert, doch Horatio musste sie erst beim Arm nehmen und aus der Küche führen, bevor sie wirklich bereit war, Sally in Mama Elos Obhut zurückzulassen.
»Komm, Liebling, lass uns in die Käserei gehen. Wir werden sehen, was der neue Käser heute gemacht hat. Ich kenne ihn noch gar nicht. Mehr als ein paar Begrüßungsworte haben wir nicht gewechselt. Außerdem will ich in ein paar Tagen nach Swakopmund fahren. Du weißt schon, der Termin im Hansa-Hotel.«
Ruth nickte beklommen, dann fasste sie nach Horatios Hand. »Ich habe Angst«, bekannte sie. »Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich richtig Angst. Mehr Angst sogar als damals in der Diamantmine, als Henry Kramer Margaret und mich umbringen wollte. Ich fühle mich so hilflos, so ohnmächtig und habe Angst, Sally nicht gut genug beschützen zu können. Wenn du wegfährst, dann wird alles noch schlimmer. Bitte, kannst du den Termin nicht um vier Wochen verschieben? Ohnehin sind der Weich-und der Hartkäse noch nicht so weit. Es würde nichts ausmachen.«
Horatio nahm Ruths Gesicht in seine Hände und bedeckte es mit Küssen. »Nichts passiert ihr, Liebes, gar nichts. Mama Elo und Mama Isa werden aufpassen, wenn du arbeitest. Ihr wird nichts geschehen. Und ich muss nach Swakopmund. Das weißt du genauso gut wie ich.«
Wenig später liefen Ruth und Horatio Hand in Hand über den Wirtschaftshof zur Käserei. Schon aus einiger Entfernung sahen sie Robert Outwater.
Der neue Käser saß, angetan mit Haarnetz und weißem Kittel, auf einem Schemel vor der Käserei und rauchte. Das Gesicht hielt er der Sonne entgegen, die langen Beine hatte er ausgestreckt, sein Rücken lehnte an der Wand des Gebäudes.
Sofort verdüsterte sich Ruths Gesicht. Noch voller Ärger und Angst trat sie auf den Käser zu. »Sie sind zum Arbeiten hier, nicht zur Sommerfrische! Die Frühstückspause hatten Sie schon, das Mittagessen liegt noch eine Weile vor Ihnen. Sollten Sie also nicht lieber arbeiten, als hier herumzusitzen?«
Robert Outwater zwinkerte Ruth aus sonnenblinden Augen an. »Käse«, sagte er und zog genussvoll
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