Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
gefragt. »Eine Vormundschaft, bis geklärt ist, ob Sally für immer bei uns bleiben kann.«
Der Polizist hatte auf einem Bleistift gekaut und Horatio lange schweigend angesehen. »Können Sie die Wahrheit vertragen?«, fragte er schließlich.
Horatio hatte in seinem Gesicht kein Anzeichen von Missgunst oder Häme entdeckt, keine Vorurteile gegen seine Hautfarbe oder seine städtische Herkunft. »Was ist die Wahrheit?«, hatte er gefragt. »Natürlich möchte ich sie wissen. Niemandem ist gedient, wenn die Karten nicht offen auf dem Tisch liegen.«
»So spricht ein Mann«, hatte Lang erwidert und die Schultern gehoben. »Ich sage es Ihnen ins Gesicht: Sie werden Sally nicht behalten dürfen.«
»Und warum?«
»Können Sie sich das nicht denken?«
»Weil ich ein Schwarzer bin und Ruth weiß. Deshalb, oder?«
»Ja. Würde ihre Mutter, Rose Salden, die Pflegschaft beantragen, würde jede Behörde mit Begeisterung zustimmen. Die AZ würde einen Artikel schreiben, um der Welt zu zeigen, wie gut die Weißen hier die Schwarzen behandeln. Und, mein Freund, wäre Ihre Haut weiß und wären Sie mit Ruth verheiratet, würde jede Behörde jubeln. Aber so?«
»Aber das Kind ist nicht weiß.«
»Das hat keine große Bedeutung. Die Behörden wollen christliche Kinder mit europäischen Manieren. Kinder, die von klein auf lernen, wer der Herr im Hause, sprich im Lande, ist. So werden sie im Waisenhaus erzogen, so lauten die Vorschriften. Ledige Mütter gelten noch immer als ein wenig unzüchtig. Wenn Sie das Kind behalten wollen, überreden Sie Rose, die Pflegschaft zu übernehmen. Ich verspreche Ihnen, dass ich unter diesen Umständen auf der Stelle die nötigen Papiere ausstelle.«
Horatio schüttelte den Kopf. »Niemals.«
»Das dachte ich mir. Sie sind ein aufrechter Mann, Mister Mwasube. Es widerspricht Ihrem Naturell, sich von anderen abhängig zu machen. Mir würde es ebenso ergehen. Aber leider sehe ich keine andere Möglichkeit.«
Horatio nickte. »Dann muss mir eine einfallen, nicht?«
Lang lächelte. »Ich werde versuchen, die Steine auf Ihrem Weg so klein wie möglich zu halten.«
»Danke.«
Horatio war überrascht, als Sergeant Lang ihm über den Tisch hinweg die Hand reichte. »Gibt es etwas Neues über Amas Tod? Hat man Santo gefunden?«, fragte er rasch.
Lang schüttelte den Kopf. »Ich habe Thala gestern aufs Revier bestellt. Sie hat gesagt, dass sie das Kind niemals anerkennen wird. Sally sei nicht ihr Enkel und Ama kein Mädchen, das sich freiwillig mit einem Weißen eingelassen hätte. Aber das bleibt bitte unter uns.«
»Heißt das, Ama ist vergewaltigt worden?«, wollte Horatio wissen. Er war nicht überrascht. Es kam selten vor, dass sich ein schwarzes Mädchen in einen weißen Mann verliebte. Die Unterschiede waren einfach zu groß. Dass aber ein weißer Mann ein schwarzes Mädchen vergewaltigte, geschah hingegen öfter, und zwar auch, weil kein schwarzes Mädchen einen weißen Mann deswegen anzeigen und kein Gericht ihn verurteilen würde. Im umgekehrten Fall sah es freilich anders aus. Ein Schwarzer, der eine Weiße vergewaltigte, würde unweigerlich und für sehr lange Zeit ins Gefängnis kommen. Und die Aufseher würden dafür sorgen, dass die Zeit hinter Gittern eine Zeit voller Angst und Schmerzen wäre.
»Wer weiß. Ich habe nicht die Lampe gehalten«, antwortete Lang. »Eins jedenfalls steht fest: Ich kenne Ama von Kindesbeinen an. Sie hat nie den Eindruck gemacht, als hätte sie großes Interesse an weißen Männern. Im Übrigen war sie zwar sechzehn Jahre alt, aber für ihr Alter noch sehr kindlich. Mir schien, sie hatte eher noch Interesse an Puppen als an Männern.«
»Und Santo?«
»Das frage ich Sie. Sie sind ein Nama. Wo könnte er sein? Was hat er vor? Was tut ein schwarzer Vater, wenn er vermutet, dass sein Mädchen von einem Weißen vergewaltigt wurde und kein Richter dieses Landes den Weißen zur Rechenschaft ziehen wird? Was würden Sie an Santos Stelle tun? Ich für meinen Teil wüsste es ziemlich genau.«
Horatio schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht die geringste Ahnung.«
»Das dachte ich mir. Und selbst, wenn Sie es wüssten, würden Sie es mir nicht sagen, nicht wahr?«
Horatio antwortete nicht. Er tippte sich gegen die Hutkrempe, bedankte sich noch einmal und wollte gerade gehen, als ihn die Stimme des Sergeanten zurückrief. »Eins noch: Ich habe nichts gegen Schwarze. Mir ist es vollkommen gleichgültig, wie einer aussieht. Aber ich kann Unruhestifter nicht
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