Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
eingestand, lachte er laut auf. Plötzlich schmerzte es ihn nicht mehr, an Katutura vorbeizufahren, der Siedlung der Schwarzen.
Es war bereits früher Nachmittag, als Horatio die Pad verließ und die gepflasterten Straßen der Hafenstadt erreichte. Bis zu seinem Termin im Hansa-Hotel blieb ihm noch eine gute Stunde Zeit. Horatio hielt an, betrachtete den Plan der Stadt. Er war ganz in der Nähe von Corinnes und Willems Haus.
»Na denn.« Seufzend wendete er den Dodge und fuhr in die angegebene Straße, hielt vor Haus 28 und stieg aus.
Er staunte. So hatte er sich Corinnes Haus nicht vorgestellt. Während die Vorgärten der Nachbarn bis zum letzten Grashalm gepflegt waren, umrahmten bei Corinne lediglich ein paar vertrocknete Büsche eine verbrannte Grasfläche. Eine Schirmakazie hatte ihre Zweige bis zur Dachrinne ausgestreckt. Zwischen den Wegplatten wuchs das Unkraut, und aus dem Briefkasten quollen Postwurfsendungen. Überall lag Laub herum, die Straße war offensichtlich seit Längerem nicht gefegt worden. Um die Veranda baumelten sogar noch Reste der Weihnachtsdekoration verloren im Wind.
An der Hauswand lehnte ein Kinderfahrrad, in dessen Reifen die Luft fehlte. Alles in allem wirkte das Haus, als wäre es verlassen: Im oberen Stockwerk waren die Rollos heruntergelassen. Die Fenster des Erdgeschosses hätten dringend einer Wäsche bedurft, ebenso die gelbstichigen Gardinen.
Wo ist Willem nur?, fragte sich Horatio. Wohnt er gar nicht hier? Kümmert er sich nur um seine Geschäfte? Oder war diese Verwahrlosung schon vor Corinnes Reise nach Salden’s Hill üblich?
Er warf einen Blick auf die ordentlich gestutzte Hecke des Nachbarhauses, auf den weiß gestrichenen Zaun, den igelkurzen Rasen und die strahlenden Raffgardinen, hinter denen er eine verstohlene Bewegung wahrnahm. Dann suchte er in seiner Hosentasche nach dem Schlüssel, öffnete das halbhohe Gartentürchen und ging auf das Haus zu.
»Hallo, Sie da!«, rief jemand.
»Ja?« Horatio blieb stehen.
Auf dem Nachbargrundstück stand eine junge Frau mit Pferdeschwanz und einem gelb karierten Kleid, dessen Rock sich über einem Petticoat aufbauschte. Sie trug Gartenhandschuhe und hielt eine Schere in der Hand. Vor ihren Füßen stand ein geflochtener Korb.
»Wo wollen Sie denn hin?«
Was geht dich das an?, dachte Horatio, entgegnete aber: »Ich komme von Salden’s Hill, der elterlichen Farm von Corinne van Leuwen. Sie ist im Augenblick dort und braucht ein paar Sachen aus ihrem Haus.«
»Corinne?«, fragte die Nachbarin.
»Ja, Misses. Corinne van Leuwen. Sie wohnt doch hier, nicht wahr?« Horatio überblickte wieder das ungepflegte Anwesen und war sich mit einem Mal selbst nicht mehr sicher, ob er auf dem richtigen Grundstück war.
»Na ja, sie hat hier gewohnt. Aber ich habe sie seit Weihnachten nicht mehr gesehen. Jetzt haben wir schon April. Ich dachte, sie wäre ausgezogen. Zumal in den letzten Wochen ... Aber ach, was sage ich da.«
Horatio nickte. »Sie lebt im Augenblick auf der Farm, um sich zu erholen. Was war in den letzten Wochen? Was ist geschehen?«
Die Nachbarin drehte sich nach allen Seiten um, ehe sie verschwörerisch raunte: »Na, die andere Frau war da. Ich habe sie gesehen. Im Morgenmantel hat sie die Milch hereingeholt. Und ich habe sie auch am Abend gesehen und am Mittag und am Nachmittag.«
»Vielleicht war es das Hausmädchen? Ein Mann, der so beschäftigt ist wie Willem van Leuwen, wird ein Mädchen brauchen.«
»Das kann schon sein. Aber die, die da war, wirkte nicht wie ein Mädchen. Und schon gar nicht wie ein Hausmädchen. Wenigstens habe ich niemals erlebt, dass sie sich um das Haus gekümmert hätte. Hausmädchen pflegen im Allgemeinen auch keine seidenen Morgenmäntel zu tragen. Und Hausmädchen sind – zumindest in unserem Viertel – niemals weiß.«
»Das ist die Angelegenheit des Ehepaars van Leuwen«, entgegnete Horatio. »Ich werde nur das tun, worum die Misses mich gebeten hat. Sie braucht ein paar Sachen von hier.«
Die Nachbarin zog ein verständnisvolles Gesicht. »Ich kann mir gut vorstellen, dass sie vor allem dringend Ruhe braucht, die Ärmste. Besonders nach dem, was sie durchgemacht hat.«
»Durchgemacht?« Horatio hob verwundert die Augenbrauen.
Die Nachbarin erschrak und schlug sich die Hand vor den Mund. »Oh, ich glaube, ich habe zu viel gesagt. Aber grüßen Sie Corinne bitte von mir.« Sie wandte sich ab.
»Warten Sie«, rief Horatio. »Was hat Misses van Leuwen durchgemacht?« Er
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