Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
Käser lächelte. »Sehr wohl, Miss. Wo finde ich den Whiskey?«
Ruth beschrieb ihm die Stelle, und wenig später kam er mit zwei gefüllten Gläsern zurück und setzte sich neben Ruth auf die Stufen.
»Zum Wohl!«, sagte er und stieß sein Glas gegen das von Ruth, dass die Eiswürfel darin klingelten.
Ruth nickte. Sie hob das Glas und trank es in einem einzigen Zug leer. Dann wischte sie sich mit dem Handrücken über die Lippen und stützte den Kopf erneut in die Hände.
Outwater neben ihr schwieg. Nur ab und zu nahm er einen Schluck aus dem Glas. Lange saßen sie so; und Ruth bemerkte, dass der Käser sie nicht störte. Im Gegenteil: Sie empfand seine Anwesenheit als Erleichterung. Vielleicht, dachte sie, bin ich wirklich nicht so allein auf der Welt, wie ich glaube.
Aus dem Haus drang Kindergeschrei. Sally. Ruth schaute auf.
»Ich gehe sie holen«, erklärte Outwater, stand auf und kam wenig später mit Sally im Arm zurück. Er setzte sich wieder neben Ruth, wiegte das kleine Mädchen, strich ihr sanft mit dem Zeigefinger über die zarte Wange und flüsterte ihr ein Kinderlied ins Ohr. Sogleich beruhigte sich der Säugling und lag wenig später schlafend in den Armen des Käsers.
»Sie können gut mit kleinen Kindern umgehen«, stellte Ruth fest.
»Ich habe zwei jüngere Geschwister.«
»Geschwister? Keine eigenen Kinder? Keine Familie in Holland?«
»Nein. Wenn ich dort eine Familie hätte, wäre ich nicht nach Afrika gegangen.«
»Warum sind Sie ausgerechnet hierher gekommen?« Ruth sah ihn an. Er war ungefähr dreißig Jahre alt, hatte ein glattes Gesicht mit schönen Zügen, die manchmal ein wenig brutal, immer aber entschlossen wirkten.
Er nimmt sich, was er will, dachte Ruth, zum Beispiel Corinne. Wenn er sie nicht mehr will, dann wird er sie einfach wegschicken, und meine Schwester kann bitten und betteln, so viel sie will. Was er einmal entschieden hat, das bleibt.
»Also?«, fragte sie, als keine Antwort kam. »Ärger mit dem Gesetz?«
Es war nicht ungewöhnlich, dass kriminell gewordene Europäer vor einer drohenden Gefängnisstrafe nach Afrika flüchteten.
Outwater lachte. »Nein. Kein Vergehen, schon gar kein Verbrechen. Noch nicht einmal eine Frau, die ich geschwängert hätte.«
»Was dann?«
»Kennen Sie Holland?«, fragte er.
»Nein.«
»Flaches Land. Grüne Wiesen. Sie können bis zum Horizont sehen.«
»Genau wie hier.«
»Ja, aber trotzdem ganz anders. In Holland ist alles viel kleiner und kleingläubiger. Die Menschen tun alle dasselbe, und ein jeder hat Furcht vor dem Neuen, aus Angst, aus der Gemeinschaft verstoßen zu werden. Alle im Gleichklang, verstehen Sie? Niemand tanzt aus der Reihe. Alle Häuser sind gleich, alle Tapeten von derselben Farbe, in den Vorgärten die gleichen Pflanzen, in den Köpfen uniformiertes Denken. Alles ist klein. Klein in klein. Das hat mich mit der Zeit fertiggemacht.«
Ruth lächelte. »Zivilisationsflucht sagt man wohl dazu, nicht wahr?«
»Zivilisation? Wenn alle fressen, als ob es kein Morgen mehr gäbe, nur weil sie ein paar Jahre hungern mussten? Wenn alle mit Geld herumschmeißen, um sich für die Kriegsjahre zu entschädigen?« Er lachte bitter. »Sie kaufen und kaufen und kaufen, als gäbe es kein Morgen. Coca-Cola, Persil – da weiß man, was man hat –, Perlonstrümpfe und Sarotti-Schokolade, das sind die neuen Zauberworte. Um mehr geht es nicht. Und dazu singen alle Marina, Marina, Marina oder It’s now or never , Are you lonesome tonight oder O sole mio. «
Ruth lachte. »Das klingt ja, als wären Sie ein Revolutionär!«
Outwater schüttelte den Kopf. »Nein, das bin ich nicht. Vielleicht bin ich ein Träumer. Einer, der in seinem Leben mehr erreichen will als ein schmuckes Häuschen und ein Auto, das er am Samstag vor den Augen der Nachbarn waschen kann.«
»Was wollen Sie dann?« Ruth kicherte. Der Whiskey schoss ihr ins Blut, obwohl sie nur ein Glas getrunken hatte, ein randvoll gefülltes Glas. Mit einem Mal schien ihr das Leben nicht mehr ganz so grau und einsam. Sie griff nach dem halbvollen Glas, das der Käser in den Händen hielt, sagte »Prost« und trank auch das in einem Zuge leer. »Wovon träumen Sie dann?«
Outwater sah sie an. »Sie sollten nicht so viel trinken«, mahnte er sanft.
»Ich bin erwachsen. Also halten Sie den Mund. Erzählen Sie mir lieber, was Sie in Afrika suchen.«
»Ich suche etwas Echtes, verstehen Sie? Echte Gefühle. Die große Liebe vielleicht. Das große Abenteuer. Leben und
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