Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
Woche sind eine Aufnahme der Beweismittel und eine Zeugenanhörung vorgesehen. Leider steht hier nicht, wer diese ominösen Zeugen sind.«
Ruth erhob sich, nahm sich das Schriftstück. Einige Minuten las sie. Rose schien es, als würde sie immer wieder von vorn beginnen. Dann legte Ruth die Blätter kopfschüttelnd nieder.
»Du verstehst es also auch nicht?«, fragte Rose. »Mir geht es genauso. Der Anwalt soll laut Willem gesagt haben, dass Horatio verloren sei. Es gebe keine Chance, ihn aus dem Gefängnis herauszuholen. Das Gericht hat nicht einmal eine Kaution ausgesetzt.«
Rose wartete auf eine Reaktion von Ruth, doch diese verzog keine Miene. Sie starrte einfach nur weiter auf das Schreiben, dann stand sie auf und ging hinaus.
»Wo willst du hin, Ruth?«, rief die Mutter ihr nach, aber Ruth antwortete nicht.
Sie ging zum Stall, nahm ihr Pferd und ritt davon. Sie ritt im schnellen Galopp, ließ das Pferd über Weidezäune springen, trieb es mit dem Druck ihrer Schenkel zu immer schnellerem Lauf. Erst als dem Tier weiße Flocken vom Maul flogen und sein Fell schweißnass war, hielt Ruth an und ließ es trinken. Dann stieg sie auf den Green Hill und setzte sich an die Stelle, an der sie mit Horatio so oft gesessen hatte.
Sie zog die Knie an, legte die Arme darum und schaute über das Land, das seit Jahrzehnten den Saldens gehörte. Störrisches Land, dem man jede Frucht abringen musste. Karges Land, das nur mit Mühe das Vieh nährte. Aber trotz allem ihr Land. Das Land, das ihr Leben gewesen war, ihre Heimat, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Schwieriges Land.
Ich habe meine Sprache verloren, dachte sie, bin so spröde geworden wie diese Farm hier. Seit der Nacht mit Robert Outwater lebe ich mit einer Lüge. Ich habe Horatio verraten. Ich habe unsere Liebe verraten und damit auch Sally. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, heißt es. Das Schlimmste daran ist, dass ich mir selbst nicht mehr glaube.
Horatio sitzt im Gefängnis, und ich weiß nicht, ob er auch mich, uns, verraten hat. Nur er könnte sagen, was wirklich geschehen ist, doch er antwortet nicht auf meine Briefe. Warum nicht? Weil alles stimmt, was man ihm vorwirft? Weil er mir nichts mehr zu sagen hat? Weil alles eine Lüge war?
Dann wäre es kein Verrat gewesen, mit Robert Outwater zu schlafen. Dann wäre es nicht mehr gewesen als das, was Corinne tut: ein kleiner Treuebruch. Weniger sogar, weil ich nicht verheiratet bin, weil niemand da ist, den ich betrügen und verraten kann. Warum schweigt Horatio? Bin ich ihm so wenig wert?
Tränen stiegen ihr in die Augen. Von einem Tag auf den anderen war ihr Leben sinnlos geworden. Ohne Ziel und ohne Ansporn. Warum sollte sie jeden Morgen aufstehen? Für wen? Für was? Für Sally? Für ein Kind, das sie liebte, das aber vom ersten Tag seiner Geburt dazu verdammt war, ein einsames Leben ohne Respekt und Zukunft zu führen?
Wie grau die Welt heute war! Der Boden war trocken und rissig, sah aus wie eine riesige verschorfte Wunde. Green Hill. Hier war nichts mehr grün. Die Farbe der Hoffnung hatte sich buchstäblich vom Acker gemacht. Geblieben war nur Grau.
Sie seufzte und ließ den Blick nach rechts zur alten Viehtreiberhütte schweifen. In dieser Holzhütte hatte das Schicksal ihrer Großeltern begonnen, hier hatten sie Sally gefunden.
Bewegte sich da etwas? War tatsächlich ein Schatten in der Fensterluke zu sehen gewesen? Stand die Tür einen Spaltbreit offen, oder trogen sie ihre Augen? Immerhin war die Hütte ein Stück entfernt.
Ruth wollte aufstehen und nachsehen, doch dann ließ sie sich wieder auf den Hintern fallen. Wozu die Mühe? Um Corinne dort zu treffen, sie dabei zu überraschen, wie sie sich irgendwem an den Hals warf? Vielleicht sogar Robert Outwater?
Ruth verspürte einen leichten Stich in der Herzgegend. »Wenn Horatio dich verraten hat, dann bleibt dir Outwater«, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. »Nimm ihn. Zögere nicht! Mit ihm zusammen kannst du eine Farm leiten, sie größer machen. Du kannst ihn brauchen. Er ist nicht der Schlechteste, kann arbeiten, hat Ahnung von der Milchwirtschaft. Außerdem sieht er gut aus. Er ist weiß, Ruth, so weiß wie Schnee! Niemand würde euch hinterhersehen, wenn ihr in Gobabis durch die Straßen lauft. Niemand würde flüstern auf dem Farmerball. Robert würde bald Freunde hier haben: die Männer aus der Nachbarschaft. Sie würden sich manchmal zum Barbecue treffen, Bier trinken, über Fußball reden und Rockabilly-Musik hören.
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