Das Herz der Savanne - Afrika-Roman
Missionsschule hatten wir einen Lehrer, der die alten Griechen liebte. Er hat von Sokrates erzählt. Viel davon habe ich mir nicht gemerkt, aber doch eines: Wenn irgendetwas geschieht, frage zuerst, wem es nützt. Dann weißt du auch, wer es war.«
Ruth schaute ihre Mutter verwundert an. »Solche Sachen hast du gelernt?«
»Ja. Und jetzt musst du sie lernen. Frag dich mal, wem die toten Zuchtstiere nützen. Und frag dich auch, wer Ama geschwängert haben könnte und ob diese Dinge miteinander in Zusammenhang stehen können.«
»Du meinst, wir sollten selbst herausfinden, wer diese Dinge getan hat, die man Horatio vorwirft? Wir sollten das selbst tun, weil es außer uns niemand sonst tut?«
»Du bist ein kluges Mädchen, Ruth. Ich sehe, wir verstehen uns.«
Am nächsten Morgen reparierte Ruth einen Weidezaun, der sich zwei Meilen nördlich des Farmhauses befand. Sie hantierte mit der Zange an einem Pfosten, versuchte, einen Draht straffer zu spannen. Dabei gingen ihr Roses Worte nicht aus dem Kopf. Wem nützt es, dass die Zuchtstiere tot sind.
Zuerst einmal nützte es ganz offensichtlich ihrer Farm. Sie hatten als Einzige noch ihren Stier. Die Nachbarn würden ihn sich ausleihen und viel Geld dafür bezahlen müssen. Aber der Nutzen für Salden’s Hill war zu offensichtlich, als dass er echt sein könnte. Denn am Ende wären sie diejenigen, die verdächtigt würden. Wem also nützte es, die Farm in Misskredit zu bringen?
Als Erstes fiel Ruth Nathan Miller von Miller’s Run ein. Schon lange plante der, ein Milchwerk zu bauen. Ein Milchwerk, das viel kostengünstiger als Ruths kleine Käserei produzieren könnte. Und in viel größeren Mengen. Würde Nathan seinen prämierten Zuchtstier töten, nur damit Salden’s Hill ein paar Kunden verlor? Lächerlich! Kathi Markworth hatte am meisten unter dem Verlust ihres Stieres zu leiden. Die Farm stand kurz vor dem Ruin; wenn Kathi keine Hilfe bekäme, könnte sie einpacken. Aber Kathi war immer eine gute Nachbarin gewesen.
Ruth beschloss, sie nachher anzurufen und ihr den Salden’schen Zuchtstier als Ausleihe anzubieten. Kostenlos, damit auch der letzte Dummkopf kapierte, dass Salden’s Hill nichts mit den toten Tieren zu tun hatte.
Auf der Farm der Schüsslers wurden Karakulschafe gezüchtet. Ihr Stier war schon sehr alt gewesen. Für sie wäre es ein Glück, wenn eine Versicherung ihnen den Schaden ersetzte. Aber hier draußen hatte niemand solche Versicherungen, und Ruth wusste auch nicht, ob es die überhaupt gab.
Wer also wollte, dass Salden’s Hill in Verdacht geriet? Und warum? Wegen Horatio? Ging es noch immer um ihn? War diese Geschichte einzig erdacht und ausgeführt worden, um Horatio in Misskredit zu bringen? Immerhin stand er unter Anklage. Wer aber hasste Horatio so, dass es ihm gleichgültig war, ob dabei die Farm ruiniert wurde?
Corinne?
Sie war dumm, sie hasste Horatio, sie hasste es, immer irgendwie zu kurz zu kommen. Salden’s Hill, das Land, die Tiere, der grüne Hügel, das alles bedeutete ihr nichts. Hatte sie die Stiere erschossen?
Ruth schüttelte den Kopf. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sich Corinne mit angelegtem Gewehr auf die Lauer legte und die Biester erschoss.
Wer dann? Etwa die Arbeiter, die auf Salden’s Hill in ihren Pontoks wohnten und um Ama trauerten? Hatten sie ihren Hass auf die Weißen so gestillt?
Wieder schüttelte Ruth den Kopf. Die Tiere waren heilig, und die Nama waren nicht blöd, auch wenn sie kaum Schulbildung hatten. Außerdem liebten sie die Farm, hatten hier ihr Zuhause und waren froh, einen schwarzen Verwalter zu haben.
Der Draht schnippte davon und schlug klirrend gegen den Pfosten. Wütend warf Ruth die Zange auf den Boden. »Verdammt!«, rief sie und steckte sich den blutigen Finger in den Mund. »Verdammt, das kann doch nicht so schwer sein!«
Es musste um Horatio gehen.
Ruth packte die Zange in den Werkzeugkasten, schleppte sie zum Dodge. Sie wusste jetzt, was sie tun musste.
Das Haus lag still. Mama Elo und Mama Isa waren in ihrem Gemüsegarten beschäftigt, Sally schlief in einem Wäschekorb am Beetrand. Rose hatte sich in ihrem Büro vergraben. Willem stolzierte auf der Farm herum, und Corinne war entweder zum Einkaufen gefahren oder tat, als würde sie dem Käser helfen.
Ruth war allein im Haus. Sie ging die breite Treppe hinauf und ins Schlafzimmer, das sie sich mit Horatio teilte, wenn sie nicht in der Verwalterwohnung waren. Sie hatte entschieden, ihr Zimmer noch eine Weile zu
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