Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz der Savanne - Afrika-Roman

Das Herz der Savanne - Afrika-Roman

Titel: Das Herz der Savanne - Afrika-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
Vom Netzwerk:
behalten, da die Verwalterwohnung noch nicht auf die Bedürfnisse einer Familie ausgerichtet war. Manchmal benutzte Horatio das Zimmer auch, um hier ungestört zu arbeiten. Auf dem Tisch unter dem Fenster hatte er seine Unterlagen ausgebreitet. Links neben dem Bett befand sich eine Kommode, in der Horatio einige weitere Dinge verstaute.
    Als Sergeant Lang die Hausdurchsuchung durchgeführt hatte, war Ruth dabei gewesen, hatte mit Argusaugen beobachtet, was der Sergeant sah und anfasste. Sie hatte ihm auf die Finger gehauen, als er in ihrer Nachtwäsche stöberte, sie hatte damit gedroht, sich bei seiner Frau zu beschweren, als er Sallys Kleidung mit seinen riesigen Händen begrapschte, und sie hatte gekeift, als er seine Nase in ihren Kleiderschrank steckte. Sie war so wütend gewesen, dass der Sergeant die Durchsuchung rasch und nicht allzu gründlich durchgeführt hatte.
    »Meinen Sie etwa, ich dulde in meinem Schlafzimmer Dinge, die uns ins Unglück stürzen?«, hatte sie geschrien und sich vor dem Sergeanten aufgebaut. »Was wollen Sie hier finden? Waffen? Unter meinem Bett? Bitte, schauen Sie nach! Und wischen Sie dabei doch gleich ein wenig Staub.«
    Sie hatte so gezetert, dass der Sergeant schließlich das Weite und sein Glück in Horatios Verwalterwohnung gesucht hatte. Jetzt aber fragte sie sich, ob es hier doch etwas zu finden gab.
    Noch einmal lauschte Ruth auf die Stille im Haus, dann trat sie an den Schreibtisch, auf dem ein paar aufgeschlagene Bücher und ein Packen beschriebener Zettel lagen.
    Sie hob das obere Blatt an und las: »Die Nama nannten den Fluss, der ins Meer mündete, ›Tsoa Xoub‹. Erst die Weißen machten daraus den Namen ›Swakop‹, weil sie den Nama-Begriff weder ernstnahmen noch ihn aussprechen konnten. Im August 1892 erfolgte die erste Landung von Weißen am Strand, an der Stelle, an der der Tsoa-Xoub-River in den Atlantik fließt ...«
    Gelangweilt legte Ruth das Blatt zurück auf den Tisch, fingerte sich durch die anderen beschriebenen Seiten, fand dort nur Jahreszahlen und alte Baupläne, las hin und wieder eine Wortgruppe wie »Schon 1905 wurde der Holzlandungssteg zur Mole ausgebaut«, »1912 begann der Ausbau der Eisenbahnlinie« oder »Hundertzwanzig Schwarze aus Liberia und ein paar Dutzend Zuchtvieh besiedelten das Land in der Nähe der Tsoa-Xoub-Mündung«.
    Sie öffnete die oberste Schublade, fand darin einen dicken Packen unbeschriebenes Papier und einige neue Bleistifte, in der Schublade darunter alte Ausgaben der Allgemeinen Zeitung , darunter eine Schachtel mit Schnipsgummis, zwei Radierern und einer Bleistiftspitzmaschine. Die Schubladen auf der anderen Tischseite waren nicht ergiebiger. Leseausweise von Windhoeker und Swakopmunder Bibliotheken, ausgefüllte Karteikarten in verschiedenen Farben, ein alter Kalender, Büroklammern, ein Lineal und ein Zirkel.
    Der Schreibtisch wirkte so unpersönlich wie ein x-beliebiger Arbeitsplatz irgendwo auf der Welt. Keine Spur von Horatio, keine persönlichen Notizen, nichts.
    Verwundert schloss Ruth die letzte Schublade, richtete den Papierstapel auf dem Tisch aus.
    Plötzlich fiel ihr auf, wie wenig sie von Horatio wusste. Ich weiß nichts aus seiner Kindheit, von seinem Leben in Windhoek. Das Wenige, das er ihr aus seiner Vergangenheit erzählt hatte, reichte nicht aus, um einen Menschen zu kennen. Ich habe ihn in mein Leben reingezogen, warf sie sich selbst vor, aber ich habe nichts getan, um an seinem Leben teilzuhaben. So, wie es alle Weißen mit allen Schwarzen machen.
    Sie schämte sich und strich mit der Hand über die leere Oberfläche der Kommode. Es gab kein Foto seiner Familie dort, keinen besonderen Stein oder sonst etwas, das ihm wichtig war, das er bei sich haben wollte, um es täglich ansehen zu können. Keine Sportpokale, keine Urkunden, keine Abzeichen, keine Andenken an irgendetwas. Hier nicht und auch nicht in der Verwalterwohnung.
    Warum war in diesem Haus, das sie als ihr gemeinsames Zuhause betrachtet hatte, nichts von Horatio?
    Ruth setzte sich auf das Bett, sah auf die offenen Kommodenkästen und fragte sich, wer der Mann war, mit dem sie hier gelebt hatte. Der Mann, den sie heiraten wollte, mit dem sie ein Kind hatte. Er war ihr abhandengekommen, mehr oder weniger spurlos verschwunden. Wenn er nicht wiederkam, gab es nichts, was sie Sally später einmal von ihm zeigen konnte.
    Hilflos saß sie auf der Bettkante, das Kissen, das sie heimlich mit seinem Haar gefüllt hatte, an ihre Brust gedrückt.

Weitere Kostenlose Bücher