Das Herz Des Daemons
weiter.
Julien drehte sich in meiner Umklammerung um und sah auf mich herab. »Warum tust du das?«
Ich lehnte den Kopf ein wenig zurück, ohne meinen Griff zu lockern oder gar zu lösen. -Weil ich deine Wahrheit will, Julien. Nicht die von Bastien oder Gérard oder einem meiner Onkel, meinem Großvater oder irgendjemand sonst. Deine! Und nur deine! Alles andere interessiert mich nicht.«
»Das große Geständnis also, ja?« Er schnaubte abschätzig.
»Na,
dann
werde
ich
dir
deine
Gutenachtgeschichte wohl mal erzählen müssen.« Sein Mund verzog sich. »Ich bin gespannt, wie lange du mich dann noch in deiner Nähe haben willst.« Ich ließ es zu, dass er meine Hände von seinem Rücken löste, mich umdrehte und zum Bett zurückkomplimentierte. Ich kroch auch folgsam unter die Decke, als er sie ausschüttelte und sie spöttisch-einladend an einer Ecke in die Höhe hielt. Aber ich hielt ihn an seiner Jeans fest, als er wieder auf Distanz gehen wollte.
»Ella hat sich immer zu mir gelegt, wenn sie mir als Kind eine Gutenachtgeschichte erzählt hat.« Das war glatt gelogen. Ella hatte sich stets nur auf meine Bettkante gesetzt. Aber im Augenblick war ich bereit, mit allen Tricks zu kämpfen ... auch wenn ein paar schmutzige dabei sein sollten. Ich wollte ihn bei mir haben. »War das bei euch nicht so?«
Seine gehobenen Brauen verrieten, dass er zumindest Zweifel an meiner Behauptung hegte. Doch er trat sich wortlos die Schuhe von den Füßen und bedeutete mir, ihm Platz zu machen. Dass ich nun meinerseits die Bettdecke für ihn hob, damit auch er darunterkonnte, ignorierte er und legte sich obenauf. Es wirkte beinah entspannt, wie er sich auf dem Rücken darauf ausstreckte, die Hände im Nacken verschränkte und die Knöchel kreuzte. - Wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass er die Zähne zusammengebissen hatte.
Ich drehte mich auf die Seite, schob die Hände unter meine Wange und sah ihn still und abwartend an. Nur kurz erwiderte er meinen Blick aus dem Augenwinkel, dann schaute er wieder starr zur Decke empor.
»Wie fangen Märchen gewöhnlich an ... Ah ja: Es war einmal in einem weit entfernten Königreich ... oder so ähnlich. Da dieses Märchen nicht mit: Und sie lebten glücklich bis an ihr Ende enden wird, lassen wir diesen Part am besten weg. Ich hoffe, du verzeihst mir diesen Stilbruch. Lass uns Zeit sparen und gleich zur Sache kommen.« Die Bitternis in seiner Stimme tat mir weh - um seinetwillen. Er seufzte. »Weißt du, was die Résistance war?« Offenbar dauerte es ihm mit meiner Antwort zu lange, denn er sprach bereits nach ein paar Sekunden weiter. »So hat man den französischen Widerstand im Zweiten Weltkrieg genannt. Bastien, Raoul, Adrien und ich gehörten dazu. Damals waren wir noch in Marseille zu Hause, und dass es von den Nazis besetzt war ... na ja, das konnten wir einfach nicht ertragen. Marseille war unsere Stadt. Schon seit ihrer Gründung stand sie unter dem Schutz der Lamia. Also haben wir uns dem Widerstand angeschlossen. Raouls und Bastiens Familie war davon absolut nicht begeistert. Unsere eigentlich auch nicht, aber unser Vater akzeptierte zumindest, dass Adrien und ich es als unsere Pflicht ansahen, für unser Marseille zu kämpfen. Die Menschen in der Résistance wussten nicht, was wir waren. Und letztendlich ging es uns ja auch nicht um sie, sondern um die Lamia und Vampire, die in der Stadt zu Hause waren. Dass sie auch davon profitiert haben, war eigentlich nur Nebeneffekt. Wir haben für die Alliierten spioniert und unser Bestes getan, die Deutschen zu sabotieren. Und ich glaube, wir waren ziemlich gut darin.« Ein arrogantes und zugleich erschreckend bösartiges Lächeln glitt über seine Lippen, das sofort wieder verschwand. Langsam holte er Luft. »Wir waren in Berlin, als es passierte. Raoul, Bastien, Adrien und ich. Wir waren das Kleeblatt. Die vier Musketiere - alle für einen, einer für alle. Wir arbeiteten in der Regel immer zusammen. Adrien und ich hatten den Ruf, begnadete Fassadenkletterer zu sein, Raoul konnte so ziemlich jedes Schloss öffnen und Bastien ... Bastien war ein Genie darin, die Leute so zu beschwatzen, dass er bekam, was er wollte. Und das, auch ohne die Menschen zu beeinflussen. Er besorgte uns stets das, was wir für unsere Unternehmungen an Material benötigten.«
»Wer misstraut schon einem Engel«, murmelte ich vor mich hin.
Juliens Quecksilberaugen zuckten für den Bruchteil einer Sekunde zu mir - und kehrten zur Decke
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