Das Herz des Jägers
sich bei uns melden, bevor sie abheben. Ich will keinen Kontakt mit dem Flüchtigen, bevor wir bereit sind.«
»Selbstverständlich, Ma’am.«
Janina Mentz gab ihm Zeit, die Nachricht weiterzugeben. Sie rechnete nach. Mpayipheli konnte noch nicht weit sein – zu früh. Wenn er auf der BMW gut vorankam, war er vermutlich kurz hinter Laingsburg. Noch zwei Stunden bis Beaufort West. Es würde nicht mehr lange dauern.
»Ist die Straßensperre in Three Sisters fertig?«
|114| »Polizei und Verkehrspolizei sind schon dort, Ma’am. Sie beschweren sich. Es regnet in der Karoo.«
»Sie werden sich über alles beschweren, Quinn. Ist denen klar, daß sie alle Fahrzeuge überprüfen müssen?«
»Das wissen sie, Ma’am.«
»Wie lange, bis Mazibuko dort eintrifft?«
»Das sollte jetzt jeden Augenblick der Fall sein, Ma’am. Zehn Minuten, auf keinen Fall mehr.«
Captain Tiger Mazibuko saß mit gefalteten Händen da, er hatte die Augen im gelblich beleuchteten, vibrierenden Innenraum des Oryx geschlossen, aber er schlief nicht.
Langsam beschlich ihn die Erkenntnis, daß die Reaction Unit niemals eine ganz eigenständige Einheit sein würde. Seine Männer schliefen. Sie waren an die unkomfortablen Positionen gewöhnt, sie gönnten sich zwischen Einsätzen hier und da ein paar Minuten oder auch eine Stunde Schlaf. Mazibuko ebenfalls. Aber er kam nicht zur Ruhe, die Unsicherheit über ihren Einsatzbereich hatte seit seinem letzten Wortwechsel mit Mentz um sich gegriffen. Er hatte zuvor nie darüber nachgedacht: Sie waren irgendwo zwischen einer Anti-Terroristen-Einheit und einer Geisel-Befreiungs-Einheit angesiedelt, nachempfunden dem FBI Hostage Rescue Team und der vergleichbaren britischen Einheit, dem Special Air Service (SAS). Die Reaction Unit war seit dreizehn Monaten einsatzbereit, hatte aber nur Übungen absolviert. Bis jetzt. Bis sie wie verfluchte Bullen bei einem Drogendealer einsteigen mußten, und nun waren sie unterwegs, um eine Straßensperre in dieser gottverdammten Wüste zu bemannen, wo sie auf einen ungefähr vierzigjährigen Flüchtling warteten, der möglicherweise mal MK-Soldat gewesen war.
Vielleicht sollte er mal seinen Vater fragen, ob er, bevor er sich an die Buren verkauft hatte, bevor er zu einem gottverfluchten Verräter geworden war, jemanden namens Thobela Mpayipheli gekannt hatte.
|115| Sein Vater – der große Held so vieler Küchenkämpfe mit seiner Mutter, der seine Frau schlug und seine Kinder, weil er mit der Demütigung nicht fertig wurde. Weil er in einer Zelle der Geheimpolizei zusammengebrochen war und Namen und Orte, Strategien und Ziele zusammen mit Blut und Kotze erbrochen hatte. Dann hatte man ihn mit voller Absicht freigelassen – denn die Schande war an seine Knöchel gekettet und bestimmte den schlürfenden Gang seines Lebens.
Sein Vater.
Ist es nicht an der Zeit, aus dem Schatten Ihres Vaters zu treten? Er konnte sich nicht gegen Janina Mentz’ Worte wehren.
Kanntest du Mpayipheli, Vater? War er einer von denen, die du verraten hast?
Von Anfang an hatte er Phantasien gehabt, er hatte nachts geträumt, oder wenn er alleine war. Angeheizt durch die Übungen und Mentz’ Visionen, sah er Miniatur-Kriege vor sich, er sah schnelle Einstiege in dunkle Löcher, Schüsse, explodierende Granaten, Rauch und Schießpulver, Leben und Tod. Kugeln zischten durch ihn hindurch, ließen seinen Kopf platzen, verspritzten sein Blut auf die Wände. Dafür lebte er, danach sehnte er sich. Das war der Treibstoff seines Ehrgeizes, seine Erlösung, die Ablösung von den Sünden seines Vaters, die Vernichtung seiner Gehirnzellen voll Erinnerungen, und nun fragte er sich, ob es je soweit kommen würde. Mentz hatte ihm so ernsthaft erklärt, daß die Welt immer schlechter wurde. Präsidenten und Staatschefs wußten gar nicht mehr wirklich, wer Freund und wer Feind war, Kriege wurden nicht mehr mit Armeen geführt, sondern in Strategiebesprechungen. Entscheidend waren punktuelle Aktivitäten – Entführungen, Besetzungen, Selbstmordattentate, Bombenanschläge. Der 11. September war Wasser auf ihren Mühlen, jede Aussage jeder gottverdammten Splittergruppe hielten sie als wasserdichten Beweis hoch. Und wohin hatte ihn das alles gebracht?
|116| Er hörte, wie sich das Motorengeräusch veränderte.
Sie waren fast da.
Sie saßen fest in einem Land, das die Welt vergessen hatte. Selbst die Terroristen interessierten sich nicht mehr für Afrika.
Die Reaction Unit sollte eine
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