Das Herz des Jägers
seine Route richtig geschätzt.
Nicht schlecht.
Aber wenn der Tankwart ihn gemeldet hatte, dann würden sie wissen, daß er wußte, daß sie es wußten. Wenn er ihn gemeldet hatte. Er hatte aus seinem Gesicht nicht |122| schlau werden können, diese Das-hat-nichts-mit-mir-zu-tun-Fassade konnte ein Trick gewesen sein.
Sie sagen, du bist bewaffnet und gefährlich.
Die Pistolen hatte er nicht einmal mehr. Na, sollten sie daran knabbern. Aber gefährlich? Was
wußten
sie? Die verschiedenen Möglichkeiten tanzten durch seinen Kopf. Er fühlte die Anspannung in seinem Körper, und dann kam Otto Müller zu Besuch. Mitten in der Nacht, auf einer Straße durch die Karoo, hörte er die Stimme seines Ausbilders aus Odessa, eines Ostdeutschen mit feinen, fast femininen Gesichtszügen und einem unglaublich kahlen Kopf. Beinahe zwanzig Jahre war das her. Er hörte den schweren deutschen Akzent, das gestelzte Englisch.
Es ist eine Spiel-Theorie; man nennt sie das Nash-Equilibrium. Wenn zwei Spieler keinen Grund haben, von ihren gewählten Strategien abzuweichen, folgen sie diesen Strategien weiterhin. Ein Gleichgewicht – das Equilibrium. Wie bricht man das Gleichgewicht, das ist die Frage? Nicht, indem man noch mal von vorne anfängt, denn das wäre ein Teil der Strategie und somit Teil des Gleichgewichtes. Ein Schachspiel verliert man, wenn man nur an den Gegner denkt, wenn man alle Möglichkeiten berücksichtigt, alle Wahrscheinlichkeiten. Man wird verrückt. Denkt nach, was ihr tun wollt. Denkt über eure Strategie nach. Überlegt, wie ihr sie ändern könnt. Wie ihr dominieren könnt. Wie ihr das Gleichgewicht zerbrechen könnt. Handelt, statt zu reagieren. Das ist der Schlüssel.
Otto Müller – es gab eine Verbindung zwischen ihnen, Thobela war nur einer von zehn Agenten, die anderen kamen aus dem Ostblock – Polen, Tschechoslowakei, Rumänien. Er war einer der Auserwählten, und er faszinierte Müller.
Ich habe noch nie einen
Schwartzer
unterrichtet.
Also sagte er:
I haff never taken orders from ze whitezer before.
Mein Gott, er brannte lichterloh, damals. Müller hatte über seinen aufgesetzten deutschen Akzent gelacht.
Du hast die richtige – wie sagt man – Einstellung?
Er verriet dem Stasi-Mann nicht, daß er mit dieser Einstellung |123| geboren worden war, er hatte es nur nicht gewußt: Seine Einstellung umfing ihn, seine Einstellung war er, sein ganzes Sein.
Vor etwa einem Monat hatte er über Enzyme gelesen, daß es sehr große Moleküle in lebenden Zellen gab, die für bestimmte chemische Reaktionen sorgten, indem sie eine Oberfläche aufwiesen, die genau für diese Reaktion geeignet war. Er dachte darüber nach und fand sich selbst in dieser biologischen Gleichung. Sein ganzes Leben war er mit einer Oberfläche, die Gewalt als Reaktion herausforderte, durch den Blutstrom der Welt geflossen, bis ihn das krankgemacht hatte, bis er zum ersten Mal nach siebenunddreißig Jahren einen Schritt zurücktreten und sich sehen konnte und er sich abstoßend fand.
Der Unterschied bestand darin, daß Enzyme sich nicht verändern konnten.
Menschen konnten das. Menschen mußten es manchmal.
Bei einem Schachspiel sucht euer Gegner nach Mustern. Gebt ihm Muster. Gebt ihm das Nash-Equilibrium. Und dann verändert es.
Aber um das zu tun, benötigte er Informationen.
Sie erwarteten, daß er der N1 folgte. Er konnte dieses Muster nur brechen, wenn er wußte, welche Möglichkeiten es gab. Er brauchte eine gute Straßenkarte. Aber wo sollte er die herbekommen?
Nachdem Janina Mentz den Hörer aufgelegt hatte, bestand ihr erster Wunsch darin, bei ihren Kindern zu sein.
Sie kämpfte dagegen an, sie verstand ihr Bedürfnis, sie war sich darüber im klaren, daß Masethlas hinterhältige Bemerkung sie nach Beistand suchen ließ, aber ihr war auch klar, daß sie sich daran gewöhnen mußte. Sie hätte wissen sollen, daß Masethla es nicht leiden konnte, wenn man ihn unter Druck setzte, und daß er zudem, wenn man die relativen Machtpositionen in Betracht zog, unfähig dazu war, Anweisungen von einer starken Frau entgegenzunehmen.
|124| So waren sie alle.
Gott, wozu mußte es Männer geben, warum mußte sie andauernd gegen ihre schwachen, zerbrechlichen Egos ankämpfen? Das und der Sex, die Einbahnstraße ihrer Gedanken – Frauen waren bloß Beute. Wenn man nicht mit ihnen ins Bett sprang, war man eine Lesbe; wenn man als Frau etwas zu sagen hatte, dann nur, weil man sich nach oben geschlafen hatte, und wenn der Mann
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