Das Herz des Loewen
widersprach ihm nicht und wandte sich wieder zu seiner Gastgeberin, die ihm seufzend gestand. „Als ich vor Jahren hier ankam, fand ich Curthill trostlos und primitiv. Aber bald lernte ich die Menschen schätzen, die hier leben. Sie sind tapfer und ehrenwert.“
Ehrenwert? Beinahe verschluckte er sich an seinem Wein.
Im Hintergrund der Halle entbrannte ein Kampf zwischen zwei langhaarigen Riesen. Der dünnere streckte seinen Gegner mit einem Fausthieb nieder, dann -warf er sich auf ihn. Einer umklammerte die Kehle des anderen, während sie sich über die Binsenmatten wälzten, von ihren Clansleuten angefeuert, die schreiend miteinander wetteten, wie die Keilerei ausgehen würde. Nicht einmal ihresgleichen behandeln diese Sutherlands „ehrenhaft“, dachte Ross spöttisch.
„Da seht Ihr, wie es um die Disziplin unserer Leute steht, seit Eammon kaum noch in der Halle erscheint“, seufzte Lady Mary.
„Ich konnte den Laird noch nicht begrüßen. Wo versteckt er sich?“
Erst wurde sie rot, dann blass. „Nun, er - fühlt sich nicht gut. Vor zwei Jahren starb unser Sohn. Seither ist Eammon nicht mehr er selbst. Meistens bleibt er in seinen Gemächern.“
„Befehligt er seinen Clan nicht mehr?“
„Doch. Archie übermittelt uns die Anordnungen des Lairds. Und dessen Geschäfte haben dem Dorf zu einem gewissen
Wohlstand verholfen. Er glaubt, bald können die Leute einen Teil des Gewinns behalten, statt das Geld zu verwenden, um neue Ware zu kaufen. Das hat Archie uns erzählt.“
„Archie?“
„Der Hauptmann unserer Garnison. Aber abgesehen von den Handelsgeschäften hat Eammon uns vergessen.“
„Auch seine Familie?“
„Oft sehen wir ihn monatelang nicht“, erwiderte Lady Mary bedrückt. „Er verlässt seinen Turm nicht, und wir sind dort oben unwillkommen. “
„Ich verstehe.“
„Das bezweifle ich. Seit einiger Zeit kümmert sich Felis um ihn. Er braucht mich nicht mehr.“ Offensichtlich war sie so tapfer und freimütig wie ihre Tochter, und Ross bedauerte alle beide. Seine Mutter würde ihrem Mann die Augen auskratzen, wenn er versuchte, eine Geliebte unter seinem Dach zu beherbergen.
„Das tut mir leid“, murmelte er.
„Auch für Megan ist das alles sehr schwierig. Sie vergötterte ihren Vater, und er liebte sie so sehr, dass er sie nach dem Tod des alten Seanachaidhs zum Barden des Clans Sutherland ernannte. Aber nun scheint er, abgesehen von Felis, nur noch Siusan zu lieben. Jede Woche schickt er Männer in die Berge, um sie suchen zu lassen.“
Aus Liebe, oder weil Siusan zu viel wusste? Während der letzten Nacht hatte Ross versucht, die bisher erhaltenen Informationen in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Lion hatte die Jagd geliebt und hätte die Verfolgung eines Wilds nicht grundlos aufgegeben. Aber hätte Siusan Lucais zu ihm gesandt, mit der Bitte, sie auf einer entlegenen Waldlichtung zu treffen, wäre Lion sofort hingeritten. Dort hatten Eammons Männer ihn getötet - um zu verhindern, dass er dem König von ihren Geschäften berichtete? War auch Siusan an der Verschwörung beteiligt gewesen? „Wo ist Eure jüngere Tochter?“
„Einfach verschwunden ...“ Unglücklich senkte Lady Mary den Kopf. „Ohne ein Wort.“
„Sie rannte mit einem Pagen davon“, fügte eine tiefe Stimme hinzu. Ein großer, breitschultriger Fremder stieg auf das
Podium - schlicht, aber kostbar gekleidet.
Ein Edelmann, der nicht mit seinem Reichtum prahlt, dachte Ross.
„Comyn! “, rief Lady Mary.
„Liebe Cousine ...“ Höflich beugte er sich über ihre Hand. „Darf ich mich an deinen Tisch setzen?“ Als sie nickte, nahm er neben Ross Platz und wandte sich zu ihm. „Wir sind uns noch nicht begegnet. Ihr müsst Ross Carmichael sein. Mein Name lautet Comyn MacDonell.“
„Comyn zog vor neun Jahren zu uns, nachdem sein Vater seine Ländereien verloren hatte“, erklärte die Burgherrin. „Eammon betrachtet ihn als seinen Sohn, insbesondere seit Ewans Tod. Und auch mir ist mein Vetter ein Trost.“ Sie lächelte. „Obwohl ich ihn nur selten sehe ... Es kostet ihn viel Zeit, den Wehrturm instand zu setzen, den mein Mann ihm geschenkt hat. “
„Soeben bin ich von Shurr More herübergeritten“, berichtete Comyn, dann sagte er zu Ross: „Lions Tod ging mir sehr nahe.“ In seinen braunen Augen lag echter Kummer. „Wir kannten uns nicht lange, schlossen aber Freundschaft während der Clansversammlung, bei der er mit Siusan zusammentraf. Damals besiegte ich ihn in einem
Weitere Kostenlose Bücher