Das Herz des Loewen
ohne Megan aus den Augen zu lassen. Ihre Kühnheit jagte ihm Angst ein und verleitete ihn, Worte auszusprechen, die ihn selbst überraschten. „Du bist meine Verlobte, also unterstehst du meinem Befehl. Deshalb wirst du tun, was ich dir sage und dich aus der Sache heraushalten.“
„Und du wirst lernen, dass die Frauen im Hochland nicht so gefügig sind wie die im Tiefland“, entgegnete sie, bevor sie sich abwandte.
„Nun habt Ihr eine weitere Partie gewonnen.“ Seufzend blickte Comyn vom Schachbrett auf.
„Es war ein hart erkämpfter Sieg“, erwiderte Ross, „und der Ausgang bis zum Ende ungewiss.“
Am anderen Ende der Halle, vor dem Kamin, hatte Megan Platz genommen und überlegte ernsthaft, ob sie einen Becher auf dem Schädel ihres Verlobten zertrümmern sollte. Verdammt, worauf wartete er. Vor Stunden waren sie in die Burg zurückgekehrt, und er hatte nichts weiter unternommen, als Archie zu fragen, ob er ihren Vater beim Abendessen sehen würde.
Archie war zusammengezuckt und hatte Comyn einen - wie sie fand - höchst seltsamen Blick zugeworfen. „Das bezweifle ich. Aber ich werde dem Laird ausrichten, dass Ihr nach ihm gefragt habt.“
Erbost beobachtete sie ihren Bräutigam. Da räkelte er sich wie ein zufriedener Kater und schlürfte sein Ale, ausgerechnet in der Gesellschaft des Mannes, den sie für den Hauptverdächtigen hielt.
Nur zu gut wusste sie, welch ein zynisches Wesen sich hinter Comyns freundlichem Lächeln verbarg. Ihre Mutter behauptete, sein hartes Schicksal habe ihn verbittert. Immerhin sei er nach der Ermordung seiner Familie aus seinem Heim vertrieben und gezwungen worden, bei den Sutherlands Unterschlupf zu suchen. Aber Megan glaubte, es müsste mehr dahinterstecken. Nachdenklich betrachtete sie das Profil ihres ehemaligen Verlobten.
Schon als sie ein kleines Mädchen war, hat Eammon beschlossen, sie mit Comyn zu vermählen. Sie sah den jungen Mann nur selten, bis sie neun Jahre alt wurde und die plündernden MacKays seine Familie umbrachten. Mit der Hochzeit hatte er es nicht eilig, und das kam ihr sehr gelegen, da sie einen Großteil ihrer Zeit dem alten Tarn widmete, um alles über die Familienlegenden zu lernen.
Seine äußere Erscheinung hatte sie schon immer abgestoßen, vor allem sein schmales Gesicht mit den eng beisammenstehenden Augen, das sie an ein verschlagenes Wiesel erinnerte. Aber noch abscheulicher fand sie seine Gefühlskälte. Wie skrupellos hatte er sich von ihr losgesagt, als sie dem Tode nahe gewesen war ...
Comyns Raubtierblick musterte Ross so eindringlich, dass Megan erschauerte. So musste ein Habicht einen kleinen Feldhasen belauern, ehe er auf ihn herabstürzt, überlegte sie. Dass Ross kein schwacher kleiner Hase war, tröstete sie nicht sonderlich.
Aber immerhin regte Comyns Miene ihre Fantasie an.
Douglas stammte nicht aus Curthill. Wenn er Schiffe ausraubte und die Beute im Dorf versteckte, brauchte er die Hilfe eines Mannes, der hier bekannt war und einen gewissen Einfluss ausübte. Jemanden wie Comyn. Dazu kam noch, dass der Laird seiner Geliebten restlos verfallen war und sich um nichts anderes kümmerte. Das hatte Comyn ausgenutzt, um sein Schäfchen ins Trockene zu bringen.
Dies alles muss Papa endlich erfahren, dachte Megan. Nun konnte sie keine Rücksicht mehr auf seinen Befehl nehmen, man dürfe ihn nicht stören, während er mit Felis im Turm weile. Die neuen Erkenntnisse waren wichtiger als seine verwerfliche Besessenheit von dieser Hure. Was Megan herausgefunden hatte, müsste ihn wachrütteln, sodass er sich endlich wieder für das Wohl seines Clans interessierte. Vielleicht würde er auch seine Gemahlin mit neuen Augen betrachten und ein-sehen, wie falsch es gewesen war, sich von ihr abzuwenden.
Von neuer Hoffnung erfüllt, legte Megan ihren Federkiel neben das Pergament, auf das sie gerade eine Liste alter Legenden geschrieben hatte. Sie brauchte nur in den Turm hinaufzuschleichen ...
„Ich hatte gedacht, im Hochland wäre es viel kälter.“ Ross’ scharfe Stimme ließ Megan zusammenzucken, und sie schaute erschrocken zu ihm hinüber. Er sprach mit Comyn, aber dabei erwiderte er ihren Blick, und sie las eine unmissverständliche Drohung in seinen Augen. Wenn du meinen Befehl missachtest und etwas auf eigene Faust unternimmst, schleife ich dich an den Haaren zurück.
Unsinn, er war kein gewalttätiger Mann. Aber es widerstrebte ihr, ihn herauszufordern, und so zwang sie sich zu einem freundlichen Lächeln, griff wieder
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