Das Herz des Loewen
Davey.
Ross nickte. „Geh mit ihm, Megan. Ich komme bald zu dir.“
Und was dann? Zitternd folgte sie Davey zum Zelt. Ein kalter Regentropfen landete auf ihrer Wange, ehe sie eintrat.
Ein Klapptisch stand zwischen zwei Faltstühlen, in einer Ecke lag eine Matratze mit Decken und Kissen. In einem eisernen Kohlenbecken brannte ein Feuer und verbreitete angenehme Wärme. Ebenso willkommen waren die Seife, das Handtuch und die Schüssel mit erhitztem Wasser auf dem Tisch. Daneben lag der Sack mit Megans Kleidung und ihrem kostbaren Legendenbuch.
„Mein Herr zwang uns, die Pferde fast zu Schanden zu reiten“, bemerkte Davey, „aber das hat sich gelohnt, denn Ihr seid gerettet.“ Er schenkte ihr ein Lächeln, das sie nur zu gern erwiderte, dann kehrte er zu Ross Carmichael zurück.
Rasch schlüpfte Megan aus den Kleidern und wusch sich. Um auch ihr langes Haar zu reinigen, reichte das Wasser nicht, und so löste sie nur die Zöpfe. Dann legte sie ihr schmutziges Kleid über eine Stuhllehne und zog ein sauberes Hemd an. Bevor sie unter die Decken kroch, schenkte sie sich einen Becher Wein ein.
Der Burgunder wärmte ihr Blut, der Regen, der auf das Zelt prasselte, lullte sie ein. Ihre Gedanken begannen zu wandern. In dieser Nacht war sie keine lahme, zurückgewiesene Ehefrau auf dem Weg zu ihrer kranken Schwester, sondern die geliebte Gemahlin eines tapferen, wundervollen Ritters, der soeben von einem Kreuzzug heimgekehrt war, und die Liebes-nacht nach der jahrelangen Trennung würde sie endlich für immer vereinen.
In sauberer Kleidung, das Haar noch feucht vom Bad in einem eisigen nahe gelegenen kleinen See, ging Ross zu den drei Zelten, die er im Nebel nur verschwommen sah. Trotz seines warmen, wollenen Umhangs erschauerte er, und das lag nicht an der Kälte, sondern an den dunklen, hoch aufragenden Bäumen, die ihm wie Boten eines drohenden Unheils erschienen. Je schneller sie das Hochland verlassen würden, desto besser.
„Unser schurkischer Gefangener behauptet, Archie habe ihn hinter der armen Mistress Megan hergeschickt“, stieß Andrew zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Arme Mistress Megan? Der plötzliche Sinneswandel des alten Ritters belustigte Ross. „Warum, weiß er nicht. Er sollte sie festnehmen und zu einem weiter nördlich gelegenen Treffpunkt bringen. “
„Sicher wollte er mit ihrer Hilfe an ihre Schwester herankommen“, meinte Ross. „Also muss Siusan den Mord an Lion beobachtet haben. “
„Seltsam - weder Mistress Megan noch ihrer Mutter hat sie davon erzählt“, warf Owain ein.
„Sicher schwieg Siusan, um ihre Familie zu schützen“, erwiderte Ross.
„Was für ein Mann Laird Eammon damals war, lässt sich schwer sagen“, bemerkte Owain langsam und nachdenklich. „Aber so, wie er jetzt aussieht, ist er wohl kaum eines Mordes fähig.“
„Aye, es muss Archie gewesen sein.“ Nachdem Andrew den Laird der Sutherlands ein Jahr lang gehasst hatte, schien ihn die Wende der Ereignisse zu verwirren.
Umso größere Dankbarkeit empfand Ross angesichts der neuen Situation. Alle seine Probleme waren gelöst, und er musste an seiner Frau nur noch wiedergutmachen, wie er sich letzte Nacht verhalten hatte. Eammon trug keine Schuld an Lions Tod. Der Mörder war gestorben, ebenso wie sein verworfener Komplize, und die Piraterie würde ein Ende finden. Sobald Ross seine Schwägerin befragt und sie aus ihrer selbstgewählten Verbannung nach Curthill zurückgebracht hatte, würde er mit seiner Frau heimwärts segeln. Plötzlich konnte er es kaum erwarten, das graue Zelt zu erreichen, in dem sie Unterschlupf gefunden hatte.
Doch dann sah er Lucais am Lagerfeuer kauern. Diese Gelegenheit musste er nutzen, um einige Antworten auf ungeklärte Fragen zu erhalten. Er setzte sich zu dem Jungen. „Du hast meinem Bruder am Tag seiner Ermordung eine Nachricht übermittelt, nicht wahr?“
Lucais nickte und zog die Decke, in die er sich gehüllt hatte, noch enger um seine knochigen Schultern.
„Von wem stammte die Nachricht?“
„Von Mistress Siusan, aber sie wollte ihm nichts zuleide tun.“ Tränen füllten Lucais helle Augen. „Sie liebte ihn.“ Erleichtert atmete Ross auf. Niemals hatte er sich gewünscht, von Siusans Schuld zu erfahren. „Wollte sie sich mit ihm treffen?“
Wieder nickte Lucais und schüttelte einen Tränentropfen von seiner langen Hakennase. „Indes erreichte er die Lichtung nicht, wo sie wartete.“
„Und wer wusste, wo sie ihn sehen wollte?“
„Jeder,
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