Das Herz des Loewen
Luft roch nach Blut und Todesangst. In der Mitte des Zelts lag Andrew, nackt bis zur Taille, mit seinem eigenen Blut überströmt. Verzweifelt wand er sich umher, um den beiden Menschen zu entrinnen, die ihn festzuhalten suchten.
„Steh nicht wie ein Holzklotz herum!“, fauchte Megan, die über der Brust des Ritters lag und einen Lappen auf seinen Oberarm presste. „Er muss still liegen, sonst verblutet er.“ Sofort schob Ross seine Klinge in die Scheide zurück und bedeutete dem Waliser, Davey zu helfen, der die Beine des Verwundeten festhielt. Er selbst kniete neben Andrews Kopf nieder, presste ihm beide Hände auf die Schultern. Der Mann hob die Lider, nackte Angst sprach aus seinen Augen. „Lieber tot, als verstümmelt! Sie will mir den Arm abhacken!“
„Was?“ Ross starrte seine Gattin an, und das tiefe Mitleid in ihrem Blick milderte seinen Zorn. „Meggie?“
„Wenn ich es könnte, würde ich den Arm retten. Aber er weigert sich, eine Droge gegen den Schmerz zu nehmen.“ Mit dem Kinn wies sie auf einen umgestürzten Becher, der am Boden lag. „Und solange er wild um sich schlägt, kann ich nichts für ihn tun.“
„Ich muss wach bleiben! keuchte Andrew. „Ich kann nicht schlafen - und aufwachen - und feststellen, dass mein Arm verschwunden ist... “
Das verstand Ross nur zu gut, aber er vertraute Megan. Mühsam schluckte er, übte sanften Druck auf die Schultern seines alten Freundes und Kampfgefährten aus. „Wenn Meg sagt, dass sie den Arm nicht abnimmt, dann tut sie’s auch nicht.“
„Immerhin habe ich ihr allen Grund gegeben, mich zu hassen“, erwiderte Andrew.
„Da seid Ihr nicht allein“, seufzte Ross und warf einen Blick auf Megans trauriges Gesicht. „Aber glücklicherweise besitzt meine Meggie ein versöhnliches Herz. Euch kann sie viel weniger übel nehmen als mir, und trotzdem hat sie mich von dem Gift befreit. Ihr könnt ihr Euren Arm unbesorgt anvertrauen.“ Er spürte, wie sich Andrew entspannte. „Davey holt noch einen Becher von dem Zeug, und helft ihm, es zu trinken. “
Dankbar lächelte Megan ihren Gatten an - nicht nur, weil er ihr half, den Verletzten zu besänftigen. Sein Beistand stärkte ihren Mut, und den brauchte sie, um ihre schwierige Pflicht zu erfüllen. Sie bat Davey, Nadel und Faden aus dem Beutel zu holen, den die Frauen aus Larig hastig ins Lager gebracht hatten.
Die Augen des alten Ritters waren geschlossen, aber er zuckte zusammen, als die Nadel in sein Fleisch stach. Krampfhaft biss Megan auf ihre Unterlippe. Sie musste sich zwingen, das grausige Werk zu vollbringen. Aber wenn sie die klaffende Wunde nicht schloss, die sich von der Schulter bis zum Ellbogen zog, würde Andrew unweigerlich verbluten. Immer neues Blut quoll hervor, trotz des Gürtels, den sie fest um den Oberarm gebunden hatte.
Ihre Hände bebten, ihr Magen drehte sich um. Bisher hatte sie nur Kranke mit Kräutern behandelt und Kindern ans Licht der Welt geholfen, aber keine so schwer verwundeten Krieger verarztet. Nun fühlte sie sich der mühseligen Aufgabe nicht gewachsen und fürchtete, Ross’ Vertrauen zu enttäuschen. Doch als sie bedrückt aufschaute, erwiderte er ihren Blick mit einem schwachen Lächeln. „Tu dein Bestes, meine Liebste. Mehr darf ich nicht von dir verlangen. “
Meine Liebste ... Ja, es war Liebe, die aus seinen Augen strahlte, nicht der Widerschein des Feuers. Diese Erkenntnis beflügelte sie. Mit sicherer Hand bewegte sie die Nadel, und Andrew rührte sich nicht mehr. Entweder hatte er vor Schmerz die Besinnung verloren, oder das Mittel übte seine Wirkung aus.
Neben ihr saß der getreue Davey und wischte immer wieder das Blut weg, damit sie sehen konnte, wie sie die Naht anlegen musste. Und an ihrer anderen Seite kniete Ross. Aus seiner Nähe schöpfte sie während der qualvollen Arbeit immer wieder neue Kraft. Fürsorglich wischte er die Schweißperlen von ihrer Stirn, schob Fäden durchs Nadelöhr.
Endlich war die Wunde geschlossen, mit Nesselblättern bedeckt, die eine Infektion verhindern sollten, und fest verbunden.
Müde kauerte Megan auf ihren Fersen, und Ross wusch ihr das Blut von den Händen. Seufzend legte sie den Kopf auf seine Schulter, gönnte sich aber nur eine kurze Ruhepause. „Jetzt muss ich mich um Lucais kümmern.“ Der Junge lag immer noch reglos im Zelt, so bleich, dass seine Sommersprossen wie zimtrote Punkte hervorstachen. Gewissenhaft hatte sie seine Kopfwunde gereinigt und verbunden. Aber er kam nicht zu sich, und
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