Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
Schiffe auf dem Fjord, schnittig und proper sind sie, das sieht man schon von Weitem; dann beginnt es zu regnen. Unvermittelt und aus blauem Himmel, die dunklen Wolken nehmen aber zu, und der Junge guckt unwillkürlich auf Snorris Schuhe; er wird wieder nasse Füße bekommen.
Du willst den Kaufmann aufsuchen?, erkundigt sich Snorri noch einmal, nachdem er den auf seinen Kopf fallenden Regentropfen gelauscht hat.
Das ist richtig, sagt der Junge in den Regen und in die Richtung, in die das Boot zurückgefahren ist. Wo hat er diesen Tabakkauer schon einmal gesehen?
Christian ist kein schlechter Mensch, sagt Snorri, aber er ist auch kein sonderlich guter. Bei ihm dreht sich alles nur um Gewinn oder Verlust.
Das Geschäft befindet sich in einem recht großen Gebäude mit zwei Stockwerken und einem tiefen Keller. Außen ist alles sauber und gut gefegt, doch der Regen verwandelt die harte Erde langsam, aber sicher in Matsch, den die Kunden in den Laden tragen werden. Der Junge tritt ein und sagt, weshalb er kommt.
Den Kaufmann sprechen, wiederholt einer der Angestellten. Wer möchte nicht den Kaufmann sprechen? Die Frage ist, ob er dich sprechen will. Weshalb sollte er das wollen?
Da erklärt der Junge, dass er von Geirþrúður komme und einen Brief abzugeben habe, und die Haltung seines Gegenübers wandelt sich von völligem Desinteresse in Neugier und eine gewisse Unsicherheit.
Das Kontor des Kaufmanns befindet sich im Obergeschoss, in dem großen Eckzimmer mit den drei Fenstern, die amerikanischen Schiffe wiegen sich draußen auf dem Fjord, ein norwegischer Walfänger hält mit einem Wal im Schlepptau auf die Station zu.
Du kommer fra Gertrud? , fragt der Kaufmann auf Dänisch.
Ja, bestätigt der Junge und bleibt stehen, während der Kaufmann den Brief liest. Einen Sitzplatz bekommt er nicht angeboten. Der Brief ist nicht lang, eine gute Seite, trotzdem braucht der Kaufmann eine Weile für die Lektüre und schmatzt dabei hörbar mit den Lippen. Endlich legt er den Brief weg, steckt sich eine Zigarre an, dreht den Stuhl, um in den Abend hinauszusehen, wobei der Stuhl unter seinem Gewicht ächzt, aber wie dick der Mann ist, wird dem Jungen erst deutlich, als der Kaufmann sich erhebt. Sein Bauch steht vor, als wäre er in anderen Umständen, der Hals ist dick, die Schultern wölben sich mächtig über dem Rücken auf. Der Junge muss ihn einfach anstarren. Was willst du einmal werden, wenn du groß bist, haben wir die Jungen hier im Ort manchmal gefragt – die Mädchen brauchten wir nicht zu fragen, die hatten keine Möglichkeit, überhaupt etwas zu werden. Die, die am höchsten hinauswollten, antworteten: Ich will fett werden.
Sie erwartet eine Antwort, sagt der Kaufmann und guckt nach draußen. Ein Boot rudert auf eins der Schiffe zu.
Ja, sagt der Junge.
Weißt du, worum es geht?
Ja.
Donnerwetter!
Ja.
Sie soll sich nicht mit Friðrik anlegen, det er dumt .
Nein, sagt der Junge vielleicht etwas zu laut, aber es sind einfach zu viele Dinge, die in ihm brodeln, vielleicht auch der Tonfall des Kaufmanns oder wie er seine Zigarre pafft, die er jetzt aus dem Mund nimmt, um entrüstet zu sagen: Wie bitte?
Es ist nicht dumm. Wir müssen aufrecht sein, anders darf man nicht leben.
Christian schaut hinaus, brummt etwas Unverständliches und sagt dann: Die Antwort bekommst du morgen.
Damit winkt er den Jungen aus dem Zimmer.
Etwas streicht über das Fenster, und der Junge wacht auf. Es ist mitten in der Nacht, und es regnet noch immer. Der dichte Regen macht die Nacht dunkel. Es ist kühl, in eine Decke gewickelt auf dem Boden zu schlafen. Snorri schnarcht im Bett leise vor sich hin, er ist früh eingeschlafen, zufrieden mit der Orgel und damit, dass die Hoffnung draußen liegen soll. Jonni der Koch hat sich den Arm gebrochen, und Brynjólfur hat verkündet, dass er die Orgel und Snorri morgen mitnehmen könne. Auf Einwände des ehemaligen Kaufmanns, dass die Hoffnung für Geirþrúður fischen und nicht mit einer Orgel von Fjord zu Fjord fahren solle, hörte er nicht. Es wird Snorri auch guttun, sich den Rückmarsch zu ersparen, seine Beine sind fix und fertig, morgen werden sie ordentlich wehtun und völlig steif sein.
Du kommst mit uns, hat er am Abend zu dem Jungen gesagt, war aber vor Gähnen kaum zu verstehen, und dann ist er eingeschlafen. Der Junge hat noch etwas gelesen, lag dann wach und lauschte dem Regen, und das Leben floss wie ein mächtiger Blutstrom durch sein Bewusstsein. Am Ende schläferte
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