Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
breiter ist und die obere zu tragen scheint.
Das geht nicht, sagt Vigfús resigniert, als der Rüde die Hündin besteigt, die sich nicht länger entzieht, sondern ihn gewähren lässt. Der Rüde jault vor Begeisterung, und sein Hinterteil hämmert los wie ein selbstständiger Körperteil, seine Schnauze steht weit offen.
Wenn Gott die Welt wirklich hätte ändern wollen, dann hätte er uns seine Tochter geschickt und nicht seinen Sohn, sagt Álfheiður. Die Tochter Gottes hätte das Allerschlimmste im Mann freigesetzt, sie wäre geschlagen, verhöhnt und gedemütigt worden, die Römer hätten sie nicht gekreuzigt, sondern vergewaltigt. Sie hätte das Schlimmste in uns zum Vorschein gebracht, und das hätte vielleicht gereicht, um uns Menschen zu verändern. Euch Männern wäre es nicht erspart geblieben, euch um Verständnis dafür zu bemühen, was es heißt, eine Frau zu sein, was wir alles erleiden mussten, was es heißt, immer die Benachteiligte zu sein, zweiter Klasse geboren zu werden. Aber Gott versteht die Frauen nicht und schickte daher seinen Sohn.
Das alles sagt sie; der Junge sitzt zwischen ihr und Vigfús, und die Hunde treiben es vor dem Sarg. Dann ist es zu Ende.
Ich fühle mich nicht wohl, sagt Vigfús draußen vor der Kirche, während die Hunde gut gelaunt um sie herumspringen. Möchtest du nicht mit zu mir kommen? Ich sage Kristín, sie soll gehen, außerdem schläft sie sowieso in der Küche, und wir brauchen uns an ihr nicht zu stören.
Du hast kein Verlangen nach mir, sondern nach der Sünde, sagt Álfheiður und streichelt den groß gewachsenen Mann, streicht ihm über die Wange, sie hat schlanke, aber von der Arbeit kräftige Finger, und Vigfús durchläuft etwas, von dem wir nicht wissen, was es ist, und ihr Haar ist so rot, dass der Junge nicht hinzugucken wagt, dann bindet sie das Tuch um, setzt die Mütze auf, und die beiden gehen in die Richtung des Arzthauses, während Vigfús zu sich nach Hause trottet. Die Hunde bleiben bei der Kirche zurück, noch erhitzt von ihrem Treiben und Herumtollen. Im Haus des Arztes liegt Jens, und sie denkt an ihn. In einem alten arabischen Buch der Heilkunst heißt es, das menschliche Herz bestehe aus zwei Kammern, von denen die eine Glück heißt und die andere Verzweiflung. Welcher sollen wir glauben?
IX
Als der Junge zurückkommt, schläft Jens, er zittert ein wenig im Schlaf, als würde er von der Einsamkeit träumen. Eine Hölle gibt es nicht, nur Einsamkeit, in ihrem Bannkreis welkt alles, das Gras des Lebens verdorrt, und wir schaudern beim Gedanken daran. Der Junge sitzt auf seinem Bett und sieht den großen Mann zittern. Schweigend sind sie nebeneinander durch den Schnee gegangen, Álfheiður wie die Frau, von der du träumst, doch dachte sie währenddessen an einen anderen. Glücklicherweise. Sie ist eine arme Magd und hat ein Kind, er ist mittellos und müsste seine Eltern verraten, ihr Leben und ihre Träume, wenn er mit grünen Augen, roten Haaren und einem Kind zusammenziehen würde, das würde unablässiges Schuften bedeuten und jeden Tag aufs Meer zu fahren, in Regen und Kälte Tag für Tag Leinen einholen, er würde seine Hände altern sehen, zuschauen, wie sie anschwöllen, rissen und platzten und zu alten Steinen würden, keine Bildung, kein Wissen, sondern Plackerei und Fischerhütte, diese elende Behausung, die den Horizont verstellt und die Weite eingeengt hat. Besser, dass sie sich in Jens verguckt hat und nicht in mich, denkt der Junge, aber schön fühlt es sich trotzdem nicht an, es fühlt sich sogar schlecht an, ihm ist richtig elend, und deswegen hält er es auch drinnen nicht mehr aus und geht wieder hinaus in den Schnee, verschwindet im Schneetreiben, versteckt sich hinter den fallenden Flocken, die Schweigen und Kälte mit sich bringen. Er überlegt nicht, wohin oder in welche Richtung er geht, hat aber noch keinen weiten Weg zurückgelegt, als der Schnee in Schneeregen übergeht. Es ist wärmer geworden, der Schnee wird stumpf und blass, er wird grau wie die Hoffnungslosigkeit, und der Junge ist den Hang über dem Haus hinaufgegangen. So also hält der Frühling seinen Einzug. Was weich und weiß war, wird matschig und grau. Wenn Schnee der Schmerz der Engel ist, dann ist Schneeregen der Rotz des Teufels, alles wird nass, schwerer, der Schnee zu ekelhaftem Matsch.
Der Junge steht oben am Hang, mit hängendem Kopf wie ein Pferd, und geht seine lange Wanderung mit Jens noch einmal durch, von dem Zeitpunkt, als er in
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