Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
Schlachtfeld geworden, auf dem Zuneigung, Treue, Enttäuschung und Hass auf Leben und Tod miteinander kämpfen. Was soll’s, wenn dieses rothaarige Mädchen Interesse an Jens hat, das haben sie doch alle, er ist so groß und kräftig, seine Stimme so dunkel wie das Meer, und in seiner Wortkargheit strahlt er Stärke aus.
Ja, sagt der Junge langsam, er ist ein guter Mann. Er sagt es fast gegen seinen Willen, Treue und Zuneigung haben gewonnen, wenn auch nur knapp, ganz knapp. Die Fäuste öffnen sich zu schweißnassen Handflächen mit Abdrücken der Fingernägel.
Schlägt er Frauen?, erkundigt sich das Mädchen weiter.
Ob sie doch nachher zu Jens unter die Bettdecke will? Nein, das darf sie nicht, auf keinen Fall, Jens darf doch Salvör nicht enttäuschen, sie haben diesen ganzen langen Weg durch Schnee und Tod einzig und allein zurückgelegt, damit Jens zu ihr findet, den Mut dazu aufbringt und die Worte findet, die ihn zu ihr führen sollen. Jens schlägt niemanden, sagt der Junge. Er hat gute Hände, er hat eine Schwester, die viel besser ist als wir, und außerdem hat er eine andere Frau im Sinn. Wir sind nämlich den ganzen Weg durch Sturm und Tod nur gegangen und Hjalti ist gestorben, damit Jens über sie nachdenken konnte, nur deswegen.
Da steht sie neben dem Sarg, in dem Ásta liegt, wenn die doch jetzt nur zu ihm sprechen würde, wie es ihr geht, wie es ist, tot zu sein, ob sie schwieriges Gelände überwinden und vier Kindern übers Haar streichen kann, mit durchsichtigen Händen, wenn sie ihm sagen könnte, ob sie im Tod ganz allein ist, niemanden sieht und hört, nichts in Erfahrung bringt, etwa ob es einen Gott gibt, aber da steht diese junge Frau kerzengerade aufgerichtet und sieht ihn an, die Hunde sehen ihn auch an, und sie will wohl gerade etwas sagen, da wird die Tür aufgerissen, und ein Mann kommt herein, Schnee wird in einem weißen Wirbel mit hereingesaugt, den er dann aussperrt, danach macht er ein paar lange Schritte, kommt mit erhobenem Finger auf sie zu und sagt wütend: Ich hab’s doch gewusst! Ich wusste, dass du die Viecher reinlassen würdest. Du hast doch vor nichts Respekt. Jemand sollte dir endlich mal eine ordentliche Lektion erteilen!
Der Mann hat Schnee mit hereingetragen und ist selbst vollkommen weiß, aber er schüttelt das meiste davon ab und kommt dunkel unter dem Weiß zum Vorschein; der Schnee schmilzt langsam auf dem Fußboden. Den Winter kann man nicht besiegen, bloß überleben oder mit ihm leben. Die Hunde haben unwillkürlich hinter Álfheiðurs Rücken Schutz gesucht.
Ja, ja, sagt sie, und du bist gerade nur zufällig hier vorbeigekommen, Vigfús, nicht wahr?
Hallo, begrüßt der Mann den Jungen. Ich heiße Vigfús und wohne hier in der Nähe. Und du bist einer von den beiden?
Ja, sagt der Junge und stellt sich zum dritten Mal an diesem Tag vor.
Ich werde die Hunde für dich vor die Tür scheuchen.
Vigfús steht vor dem Jungen, groß, schlank, das Gesicht von den Stürmen der Zeit gezeichnet und gehärtet, ein ausdrucksstarkes Gesicht mit recht großen Augen, so blau wie der Himmel im Sommer.
Nicht nötig, sagt der Junge.
Oh doch, sehr nötig, entgegnet Vigfús und geht auf Álfheiður und die Hunde zu. Ich habe dich zur Kirche gehen sehen und wusste, dass du die Tiere ins Gotteshaus lassen und den Jungen hier bei seinen Gebeten stören würdest. Manche ehren und respektieren dieses Haus hier noch, aber auf dich trifft das nicht zu.
Du siehst ganz nett aus, wenn du dich so aufregst.
Ich schmeiße die Biester raus.
Und ich hetze sie auf dich.
Vigfús bleibt stehen, sein Kopf senkt sich ein wenig.
Böser Mann, sagt sie zu den Hunden, die sofort zu knurren anfangen.
Das wagst du nicht, du kleines Biest!
Ich habe kein Gewissen und kein Herz. Du wirst nie müde, mir das zu erklären, also kann ich mich kaum anders verhalten, und außerdem können die Hunde dich nicht leiden.
Warum bist du so zu mir?, fragt er. Sein Ärger ist plötzlich verflogen, hat sich aufgelöst, stattdessen ist ein bittender Ausdruck in dieses harte, scharf geschnittene Gesicht getreten. Was habe ich dir getan?
Na, na, na, sagt sie, entweder zu ihm oder zu den Hunden, die wieder Ruhe geben und zu knurren aufhören. Der eine setzt sich sogar und gähnt, der andere reckt die Schnauze dem Sarg zu, nimmt Witterung auf, winselt leise.
Das geht doch nicht, sagt Vigfús, schaut Hilfe suchend den Jungen an und lässt sich auf die vorderste Bank sinken, von wo aus er das Altarbild
Weitere Kostenlose Bücher