Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
Schlag getan, obwohl seitdem schon einige Zeit vergangen ist. Er trägt eine Ecke des Gestells, auf dem das Harmonium transportiert wird, es regnet, und sie geht mit ihrer Tochter und dem Norweger in die andere Richtung. Das Haus des Arztes kommt näher. Tatsache ist, dass das menschliche Herz über zwei Kammern verfügt, folglich kann man auch zwei Menschen gleichzeitig lieben, das Organ bietet die Möglichkeit dazu nicht nur an, sondern nötigt sie einem geradezu auf, würden manche sagen, aber Verstand und Gewissen sagen uns etwas ganz anderes, und darum kann die Wirklichkeit sehr, sehr kompliziert sein. Während sie sich von dem Arztehepaar verabschieden, überlegt der Junge, ob er Ólafur um ein Gewehr bitten soll, damit er sich durch die Kammer schießen kann, die die Frau mit den grünen Augen und zu kurzen roten Haaren so schnell und gnadenlos in Beschlag genommen hat. Würde er dann nicht wieder zu einem ganzen Menschen, und sollten das nicht alle tun, eine von beiden Herzkammern abtöten, wegschneiden?
Þórdís verabschiedet sich von Jens mit einem kräftigen Händedruck, sie presst ihre Hand sehr fest in seine, wie um ein Teil von ihm und seinem Leben zu werden, sehr fest, bleib bei mir, will die Hand vielleicht sagen, lass mich nicht hier zurück, und Jens erwidert den Druck, wenn auch nicht so stark. Steinunn umarmt den Jungen. Man kann gar nicht anders, als ihn in den Arm zu nehmen, wird sie an diesem Abend schreiben, nachdem sie Temperatur, Regen und Wind notiert und beschrieben hat, aus welcher Richtung die Wellen anrollten und die Wolken heranzogen, wie das Harmonium klang und wie die Gemeinde sang. Man kann gar nicht anders, als ihn in den Arm zu nehmen und schützend an sich zu drücken, denn manchmal ist er wie ein schutzbedürftiges Kind, manchmal aber auch etwas ganz anderes, das ich überhaupt nicht kenne. Ich weiß beim besten Willen nicht, ob es solche Menschen überhaupt in diesem Land gibt. Ich weiß nicht, ob sie eine Täuschung sind oder ein Versuch, die Dinge zu bessern. Muss mit Ólafur darüber reden.
Da geht der Junge. Mit einem dummen Körper zwischen zwei Riesen, Jens und Brynjólfur. Der Kapitän ist bester Laune, der Sommer kommt bald, er wird auf Fahrt gehen, und das Meer ist sein Freund, es täuscht einen nie, ist ungeteilt und rein, sei es in Ruhe und Windstille oder bei Sturm und Tod. Ein Nachteil ist natürlich, dass er nicht an Alkohol gekommen ist.
Sigurður ist beschäftigt, er kommt nicht, hatte seine Frau erklärt, als Brynjólfur sich nach dem langen Kaufmann erkundigt hatte, der ihm und anderen ehrlichen Männern auch dann Schnaps besorgt hatte, wenn es sonst nirgends welchen gab.
Alkohol?, hatte die Frau Brynjólfurs Frage wiederholt, als wüsste sie nicht einmal, wovon überhaupt die Rede war, und müsste das Wort erst einmal laut nachsprechen, zweimal sogar, bevor sie wieder wusste, was gemeint war. Nein, hier ist längst alles ausverkauft. Außerdem fährst du doch zum Fischen aus, da brauchst du ja wohl keinen Alkohol.
Ja, ja, das ist natürlich völlig richtig, hatte ihr Brynjólfur beigepflichtet, obwohl er einzig und allein für Alkohol hier angelegt hatte. Er hatte gleich zur Walfangstation weiterziehen wollen, die Norweger hatten bestimmt irgendwelchen Fusel, doch er war das Gefühl im Nacken nicht losgeworden, dass die Frau hinter den Gardinen stand und ihn beobachtete. Ich werde wohl einige Tage auch ohne einen Tropfen auskommen, hatte er gedacht. Alles andere wäre doch erbärmlich. Also hatte er den Kurs geändert, wobei er sich fühlte, als hätte er einen Sieg errungen, und war auf das Haus des Arztes zugegangen. Dort hatte er eine Menschengruppe stehen sehen und etwas, das wie ein Harmonium aussah, obwohl das höchst verwunderlich war, so unter freiem Himmel.
Sie gehen zum Ufer hinab, etwas zu schnell für Jens, aber er hält Schritt und will sogar noch schneller gehen, doch jeder Schritt tut ihm weh, und er wirft sich schon mehr oder weniger vorwärts, als der Junge begreift und das Tempo verringert; dann hustet er, um das Herz wieder in Gang zu bringen, und schafft es, dass es endlich wieder einigermaßen schlägt und nicht bebt und zittert wie ein ängstliches Häschen. Brynjólfur möchte jemanden haben, der mit ihnen zum Schiff hinausrudert, und da muss ausgerechnet sie mit ihrer Tochter am Strand sein, und weit und breit kein Norweger in Sicht. Die beiden suchen Muscheln, kommen dann auf sie zu. Die Berge sind im Regen nicht sehr klar zu
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