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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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Sturm und der sich in die Kapitänskajüte bei John Andersen verkrochen hat. Es schaukelt ganz gewaltig. Das Hafenbecken ist nicht wiederzuerkennen, und der Sturm heult in den Bergwänden, heult, dass dein Kopf platzen könnte, wenn du es nicht kennen würdest. Die Besatzung ist wach, und dann kann sie die Gelegenheit auch nutzen und saufen und sich richtig volllaufen lassen. Prost, Kameraden! Skál , Brüder! Wir haben doch alle Salzwasser in den Adern, und darum sind wir Brüder. Andersen trinkt nicht mit ihnen, er liegt mit dem schnurrenden Kater in seiner Kajüte und döst. Der Sturm ängstigt das Tier, dieses Heulen, das Schaukeln.
    Alles in Ordnung, sagt der Kapitän beruhigend. Wir sind hier näher an Land als auf dem Meer, du jämmerlicher Feigling. Er lächelt, als das Katerchen endlich einschläft, beruhigt, solange die Hand seines Herrn mit dem Daumen über den kleinen Kopf streichelt. Ein nettes Tier, dieser Kater, fast noch ein Kätzchen, immer gut aufgelegt und ständig auf der Suche nach etwas zum Spielen, nach etwas, das sich bewegt. Andersen hat Geirþrúður von ihm erzählt.
    Seine Lebensfreude tut gut, hat er gesagt, du solltest dir auch eine Katze zulegen.
    Das würde die Raben kaum freuen, hat sie erwidert und gelacht.
    Er sah in ihre dunklen, fast schwarzen Augen und meinte kurz Anzeichen dieser großen, schwarzen Vögel darin zu sehen. Er streckte den Arm vor und streichelte ihr übers Gesicht, über die Nase, über die Augen, über den Mund; er streckte den Arm aus, als wollte er sie aus dieser Einsamkeit ziehen, die er so stark empfand, dass ihm Tränen in die Augen traten. Und jetzt passiert es wieder, während das Schiff schwankt und er die schnurrende Katze streichelt. Von seiner jüngsten Tochter hat er das Tier bekommen, als es noch fast blind und unselbstständig war. Die Tochter heißt Olavia, ist erst dreizehn Jahre alt, blond, fröhlich und etwas sensibel.
    Olavia hat mir den Kater geschenkt, hat er Geirþrúður erzählt, er musste es ihr sagen. Sie ist die Jüngste, sie lacht so hübsch. Und dann hat er, ehe er sich’s versah, auch die Namen der übrigen Kinder aufgezählt, Thomas und Ivylin, beide wohnten nicht mehr zu Hause. Er hat erzählt und erzählt und völlig die Übereinkunft mit Geirþrúður vergessen, nie von der Familie zu reden.
    Ich fange an dich zu lieben, sagte Geirþrúður vor vier Jahren, als eine Kraft, die stärker war als sie, begonnen hatte, sie zueinander hinzuziehen. Sobald du das Land aus dem Meer steigen siehst, sobald es aus der Tiefe auftaucht, beginne ich dich zu lieben. Von da an gibt es dich. Woher du kommst, was für ein Mensch du dort bist, was für ein Leben du führst, das alles existiert zwischen uns nicht. Bei mir bist du ein anderer, bei mir gehörst du mir.
    Es war eine gute Regelung, sie machte es ihnen leichter, aber niemand kann ewig über sein Leben schweigen, früher oder später stellen sich Erinnerungen ein, das ist ein Gesetz. Sogar Jens hatte reden müssen, dabei hatte er kaum einen Mund. Und so erzählte auch Kapitän John Andersen von seinen Kindern, vor allem von Olavia, doch dann auch von seiner Frau, und er nannte ihren Namen. Geirþrúður sagte nichts dazu, sie guckte nur in den Himmel, ihre Hände zerzausten sein Haar, sie unterbrach ihn nicht, brachte ihn auch nicht mit einem Kuss zum Schweigen, der sanftesten Methode der Welt, um jemandem zu verstehen zu geben, er solle die Klappe halten. Ich versiegele deine Lippen mit einem Kuss, weil mich deine Worte quälen. Sie ließ ihn reden, sie hörte zu, obwohl es wehtat, weil dieser Mann, ein fremder Kapitän, ihr vielleicht so viel bedeutete, dass sie manchmal zitterte. Sie lagen in der Mulde, er mit dem Kopf in ihrem Schoß, die Augen geschlossen, während sie aufsah und der Himmel in ihre dunklen Augen eindrang.
    Jetzt schläft Geirþrúður in ihrem großen Bett.
    Er war nicht dazu zu bewegen gewesen, bei ihr zu schlafen.
    Ich ertrage es durchaus, dich über Nacht bei mir zu haben, hatte Geirþrúður gesagt, als sie den Ort erreichten. Die Brise, die gerade eben die Grashalme bewegt hatte, musste sich noch zum Sturm auswachsen, und jetzt liegen sie alle flach an die Erde gepresst, völlig besiegt, keine Chance, und sie werden sich erst wieder aufrichten, als wäre nie etwas gewesen, wenn der Sturm abflaut. Andersen konnte nicht bei Geirþrúður übernachten, so gern er es auch getan hätte, er wollte gern in ihrem Duft einschlafen, in ihrem schwarzen Haar, aber wegen des

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