Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
die Katze erwartet.
Die heilige Louise schaukelt übel mitgenommen im Hafenbecken und bietet einen traurigen Anblick, eine Totenbarke, traurig, aber nicht wertlos. Zimmerleute wurden angeheuert, um sie zu reparieren, instand zu setzen und wiederherzurichten, die Reederei in England zahlt, und eine neue Besatzung ist unterwegs. Ein neuer Kapitän für Geirþrúður, sagen manche, ein toter Liebhaber taugt nicht viel. Man sieht ihr an, dass sie so einiges nötig hat, stimmt, man sieht es ganz deutlich, ja, guck dir nur die Mundwinkel an, es springt einem doch ins Auge, ja, ich hab ja immer gesagt, die würde noch mit dem Bocksfüßigen ins Bett gehen, wenn sie könnte. Wieso wenn sie könnte? Weißt du denn, ob sie sich nicht regelmäßig von ihm reiten lässt, und zwar kräftig, irgendwo draußen im Gras? Einen teuflischen Prengel muss der ja haben, sagt jemand nachdenklich.
An der St. Louisa wird gearbeitet, sie wird ausgebessert, Zimmerleute und Gehilfen aus Tryggvis Landhandel sehen Geirþrúður fast täglich fjordeinwärts Richtung Tungudalur reiten, auch bei Regen und ungemütlichem Wind, und von dort weiter in einen anderen Fjord. Sie lassen die Werkzeuge sinken, folgen ihr mit Blicken und lassen solche Bemerkungen fallen. Sie reitet schnell, sitzt natürlich wie ein Mann zu Pferd. Hat ja früh gelernt, die Beine breitzumachen, sagt vielleicht einer und wischt sich über die Augen. In dem trockenen Wetter flattern ihr die schwarzen Haare um den Kopf wie Rabenflügel. Seitdem das Unwetter das Schiff zum Kentern brachte und Mannschaft und Katze tötete, hat sie es kaum zu Hause ausgehalten, ist fast täglich ausgeritten. Wer ihr begegnet und grüßt und sie nicht ignoriert, bekommt keine Antwort. Sie guckt geradeaus, wippt mit den Bewegungen des Pferdes auf und ab, sie steigt und sinkt weich und fließend im Sattel, sogar mit Würde, das muss man ihr lassen, knurren die an Deck der Louise und setzen noch hinzu: Da kriegt der Teufel einen richtigen Leckerbissen.
Auf Hansens Wiese holt der Junge ein Pferd für sie, steckt ihm ein Stück Brot zu, bekommt bei Jóhann einen Sattel und reitet schnell zum Haus hinauf, am liebsten in gestrecktem Galopp. Dem kann er nicht widerstehen, auch wenn einige sich in Sicherheit bringen müssen und ihm Verwünschungen nachrufen – es ist einfach so phantastisch, diese Kraft zu fühlen und mit ihr zu verschmelzen. Geirþrúður kommt aus dem Haus, dankt ihm mit einem Lächeln, lehnt sich vielleicht an das Pferd und lässt sich von dem Jungen etwas erzählen. In diesen Momenten ist es, als käme er ihr ein ganz klein wenig näher, als dürfte er ein Teil ihres Lebens sein, als ob sie den Abwehrschild sinken ließe, sofern der nicht ohnehin Scharten bekommen hat und sie ein wenig ohne Deckung ist. Sie fragt nach Wichtigem und Unwichtigem, als gäbe es keinen Unterschied. Während sie spricht, knabbert das Pferd manchmal am Jungen, als wollte es ihn daran erinnern, dass das Brot lecker war und er ihm gern noch mehr davon geben dürfe. Der Junge krault das Pferd hinterm Ohr; er hat schon so viel erzählt, sogar von Dingen, von denen er sonst nie spricht, und darum traut er sich nun, Geirþrúður zu fragen, wo sie herkommt, was für ein Leben sie geführt hat, doch sie weicht ihm geschickt aus und fragt ihrerseits ihn weiter aus, bis der Junge einmal mit Versen von Herrn Whitman antwortet, die er noch im Kopf hat. Es sind reichlich viele.
Das ist gut, sagt sie. Das ist anders. Danke, dass du es mit mir teilst.
Gísli weiß es nicht zu schätzen, sagt er. Es irritiert ihn.
Gísli kommt nun einmal aus jener Familie, sagt sie und sitzt auf. Sie blickt auf den Jungen hinab, der noch nie derart dunkle Augen gesehen hat und im nächsten Moment sagt: Ich habe noch nie so dunkle Augen gesehen.
Wie eine Winternacht?, fragt sie.
Ja, antwortet er und setzt noch, ohne es selbst ganz zu begreifen, hinzu: Aber sie sind auch wie die Zeit.
Sie beugt sich vor, um ihm durchs Haar zu fahren, und reitet dann los, in zügigem Tempo fjordeinwärts, Haare wie Rabenschwingen, Augen dunkel wie die Zeit. Auf dem Deck der heiligen Louise stehen ein paar Männer und machen anzügliche Bemerkungen über sie.
Es ist nicht schwer, ein beschädigtes Schiff zu reparieren, das Einzige, was es dazu braucht, sind geschickte Hände, Material und Kapital. Tryggvis Firma besitzt alles zusammen oder verfügt darüber, denn ihr gehören ja nicht die Hände der Zimmerleute, zumindest nicht direkt, aber das macht
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