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Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz des Menschen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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wahrscheinlich keinen großen Unterschied, eher einen vernachlässigbar kleinen. Nein, es ist kein Problem, ein Schiff zu reparieren, es kostet bloß Zeit, allerdings kaum mehr als ein paar Wochen, zwei oder drei in diesem Fall. Leider ist es nicht genauso leicht, einen gestrandeten und ruinierten Menschen wieder flottzumachen. Da taugen auch die besten Tausendsassas unter den Handwerkern kaum oder, genauer gesagt, gar nichts. Da reicht es auch nicht, duftendes Bauholz und stabile Schrauben, Nägel und Bolzen zu haben, nicht einmal Geld reicht, obwohl das die am weitesten verbreitete Religion der Welt ist.
    Wir dürfen also behaupten, dass es für Snorri schlechter aussah als für die heilige Louise. Schließlich hatte ihn nicht ein kurzzeitiger Orkan im Frühsommer ruiniert, sondern die Zeit selbst, viele Jahre, unsagbar viele dunkle, schwere Stunden, es waren die Dinge, Umstände und Vorfälle des Lebens: Ehefrau, Gott, Enttäuschung, Einsamkeit. Tagelang sitzt Snorri in seinem fast leeren Haus, starrt vor sich hin, spielt auf dem Harmonium, das er bei sich haben darf, aber im Haus zurücklassen muss, wenn er in einigen Tagen mit der Thyra nach Reykjavík fahren wird, in den Rachen der Ungewissheit.
    Es gehe einfach nicht mehr, weder im Guten noch im Bösen, sagten die Leute bei Tryggvi. Sie verbreiteten das Gerücht, Snorri habe schwere Schlagseite, und empfahlen dringend, Snorri nirgends mehr anschreiben zu lassen, und es gab nur ganz wenige, die es wagten, sich darüber hinwegzusetzen. Bei Tryggvis Firma hatte er die meisten Schulden; über Jahre hinweg, viel zu lange, hatte er sein Betriebskapital größtenteils geliehen und Waren so teuer einkaufen müssen, dass er sie nur mit ganz wenig oder gar keinem Gewinn verkaufen konnte.
    Manchen ist es nicht gegeben, Geschäfte zu machen, sagte Tryggvis Oberbuchhalter Högni, und dann ist es noch das Gnädigste, ihnen den Hahn abzudrehen, bevor sie andere mit sich reißen.
    Dennoch geraten ausgerechnet einige von Snorris treusten Kunden in eine schwierige Lage: Sie müssen ihre Geschäftsbeziehungen zu Tryggvi verlagern, mit noch größeren Schulden, aus denen sie womöglich nie mehr herauskommen. Snorri wacht spät und unausgeschlafen auf, schläft nur mit Unterbrechungen, wälzt sich in klammen, manchmal klatschnassen Bettdecken, spielt auf seinem Harmonium zweihundert Jahre alte Musik, ohne das Instrument nachzustimmen. Wozu sollte er das auch tun, das Leben, dieses große Instrument, wird von Gott ja schließlich auch nicht fein auf guten Klang gestimmt.
    Wenn man die Dinge betrachtet, wie sie wirklich sind, dann sind das ein paar verfluchte Hunde, sagt Marta aus dem Sodom , die Snorri jetzt täglich besucht und dafür sorgt, dass er etwas isst, außerdem hofft sie, etwas von dieser alten Musik vom Kontinent erhaschen zu können.
    Ich begreife nicht, warum du so viel Zeit auf mich verschwendest, wundert sich Snorri. Soweit ich weiß, habt ihr doch selbst genug zu tun. Es ist schließlich Sommer, setzt er hinzu, als ob das noch eigens hervorgehoben werden müsste, wo draußen doch die Helligkeit und der Duft nach Trockenfisch bis in den Himmel reichen.
    Ich lasse es nicht kampflos zu, dass diese Kerle dir den Garaus machen, sagt Marta, und außerdem bin ich dir noch etwas schuldig.
    Du bist mir etwas schuldig?, fragt er verwundert. Das ist doch Unsinn, du hast mir noch nie etwas geschuldet.
    Marta aber lächelt bloß und schaut den Kaufmann träumerisch an, der ganz verlegen wird und sich kurz einbildet, die resolute, stämmige Wirtin sei in ihn verschossen. Etwas peinlich berührt guckt er auf seine Hände, die auf der Tastatur liegen.
    Ach, das meinst du, sagt er, als ihm endlich einfällt, was sie meint, und er spielt ein kurzes Stück, um ihr eine Freude zu machen.
    Zuweilen schickt Helga Andrea oder den Jungen mit einer Kleinigkeit zu dem gescheiterten Kaufmann, mit etwas Brot, Kaffee oder Geflügel, und auch andere lassen sich bei ihm blicken, obwohl es deutlich weniger sind als zu der Zeit, da es Snorri noch halbwegs gut ging. Freunde erkennen wir erst, wenn uns der Wind ins Gesicht bläst. Marta macht Snorri etwas zu essen und schimpft auf Tryggvis Handel und auf seine vermeintlichen Freunde.
    Sie glauben, das Richtige zu tun, sagt Snorri, und es ist nicht klar, ob er die Firma oder die Freunde meint, vielleicht beide. Er klopft Marta auf die Schulter, um sie zu beruhigen, aber sicher auch, um einmal wieder einen anderen Menschen zu berühren. Es geht uns

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