Das Herz des Menschen: Roman (German Edition)
schlecht, wenn wir niemand anderen anfassen dürfen, es ist dann, als würden unsere Fingerspitzen eintrocknen und gefühllos werden wie die einer Mumie.
Vielleicht fährt Geirþrúður deshalb dem Jungen durch die Haare, bevor sie losreitet, sie verwuschelt ihm die Haare und sagt etwas, reitet dann fjordeinwärts ins Tal hinein, hinauf auf die Heide, wo die Schneehalden tauen. Sie reitet davon, spricht außerhalb des Hauses mit niemandem, als wäre ihr alles egal, weil ein fremder Seemann, ein Kapitän, zusammen mit einer jungen Katze ertrunken ist, das Leben ist ihr gleichgültig und das Geschäft auch. Beweist das nicht gerade, dass Frauen leider nicht dazu geschaffen sind, Geschäfte zu machen, aktiv zu sein, an die Macht zu kommen? Zu lieben, das verstehen sie ganz großartig, viel besser als wir Männer, aber genau deshalb fällt es ihnen schwer, überlegte Entscheidungen zu treffen, bei Trauer, Kindergeschrei oder einem Kuss kommt ihnen das logische Denken abhanden, so ist es nun mal, und man kann die Gesetze der Natur eben nicht ändern.
Gunnar mit dem Schnurrbart, Verkäufer in Tryggvis Laden, beugt sich über den Tresen und tratscht mit zwei guten Kunden über Geirþrúður, gibt seine Weisheiten über Frauen zum Besten, dass sie sich besser auf Gefühle verstünden, wir aber besser auf Buchhaltung, Geschäftsführung und komplexe Entscheidungen, und dafür sollten wir dankbar sein. Die beiden Kunden stimmen ihm zu, und Geirþrúður reitet bei Wind oder Windstille, bei Regen oder Sonnenschein hinaus in die Helligkeit und den Sommer, um mit sich selbst, mit Trauer und Sehnsucht allein zu sein oder sich vom Teufel und all seinen kleinen Teufeln holen zu lassen.
Teufel noch mal, schimpfen die an Bord der Louisa und machen anstandslos ihre Arbeit. Snorri spielt auf dem Harmonium, wälzt sich wach im Bett und wartet auf das Schiff, das ihn fortbringen wird. Er ist erledigt, bankrott, und vielleicht fürchtet er sich, gedemütigt von seiner Niederlage, auch ein wenig davor, das Haus zu verlassen und den armen Leuten zu begegnen, die, durch seinen Konkurs verschuldet, Tryggvis Firma in die Klauen gefallen sind, etwa den Frauen und halbwüchsigen Kindern der Matrosen auf der Hoffnung , die auf dem Papier immer noch ihm gehört, also spielt er und begreift nicht, warum Tryggvis Landhandel sich wegen der Schulden nicht das Schiff hat überschreiben lassen. Vielleicht wartet Friðrik auf Tryggvi persönlich, der in Bälde erwartet wird, er befindet sich mit seinem Schiff schon auf halbem Weg zwischen Dänemark und Island, einem alten, vorzüglichen Segler – sofern er sich nicht einen stampfenden Dampfer zugelegt hat. Vielleicht möchte Friðrik die Entscheidung Tryggvi vorbehalten, seine Forderungen auf das Schiff geltend zu machen, auf das der Kaufmann seit so langer Zeit schon ein Auge geworfen hat, zum einen wegen des Namens, zum anderen aber auch wegen des Glücks, das ihm ewig vergönnt war.
Es löst daher keine große Freude aus, als Snorri endlich aus seinem Haus gekrochen kommt, wenige Stunden nachdem Geirþrúður ins Tal hineingeritten ist und nachdem sie ein langes amerikanisches Gedicht gehört hat, ›Hast du die anderen überflügelt? Bist du der König? Das ist eine Lappalie, sie werden weiter als bis dorthin gelangen, jeder einzelne, und darüber hinaus. Whitman‹. Bleich und gebeugt und alles andere als selbstsicher tritt Snorri vor Högni und begleicht die Schulden der fünf am schlimmsten durch den Konkurs in Mitleidenschaft gezogenen Familien, es sind verarmte Familien im alten Ortsteil. Einfach so. Woher er das Geld hat, sagt er nicht, aber es spricht sich trotzdem schnell herum, vielleicht durch Marta, die von Snorri erfahren hat, dass am selben Morgen Geirþrúðurs Buchhalter Jóhann den pleitegegangenen Kaufmann mit einem Angebot für die Hoffnung aufgesucht und ihm den Betrag bar in die Hand gezahlt hat. Die Kaufsumme lag natürlich etwas unter dem realen Marktwert, aber das war Snorri egal, er schlug ein, um die fünf Familien aus der Schlinge zu holen und vielleicht auch – man ist am Ende doch kein besserer Mensch, hat er schmunzelnd zu Jóhann gesagt –, um Friðrik eins auszuwischen, ihm noch einen letzten Streich zu spielen.
In dem Punkt ging Snorris Rechnung voll und ganz auf, Friðrik war alles andere als erfreut, als er erfuhr, dass ihm die Hoffnung in letzter Minute vor der Nase weggeschnappt worden war, und das von Geirþrúður, die die Zwangslage des verzweifelten
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