Das Herz des Ritters
wie verhärmt das Gesicht des Königs unter dem ordentlich gestutzten braunen Bart aussah. Seine Wangen wirkten eingefallen, die Augen stechend, der blaue Blick gehetzt und resigniert. Alle Männer hatten seit ihrem Aufbruch aus Askalon an Gewicht verloren, doch unter den Augen des Königs lag zudem ein dunkler Schatten. Um seinen Mund, der einer Prahlerei und löwenhaftem Brüllen niemals abgeneigt war, hatten sich tiefe Falten gegraben, die von dunklem Leid kündeten. Nie zuvor war ihm der König menschlicher erschienen oder verletzlicher, und als Sebastian ihn nun ansah, überfielen ihn unvermittelt Zweifel, ob ihre Mission in Outremer tatsächlich von Erfolg gekrönt sein würde.
»Ich folge Eurem Befehl, Sire«, sagte er zu dem geisterhaft wirkenden Abbild seines Königs. »Mein Schwert und ich stehen Euch wie immer zu Diensten.«
Richard betrachtete ihn eine lange Weile, dann nickte er knapp, als hätte er nichts anderes von Sebastian erwartet. Einen Wimpernschlag später war sein schwächeres Selbst wieder der kühnen Fassade gewichen, die alle von dem großartigen und mächtigen König kannten. Richard erhob sich und breitete in gewohnt großspuriger, majestätischer Haltung die Arme aus.
»Sorgt für Unterhaltung!«, rief er und klatschte in die Hände, worauf einige Pagen aus dem Zelt hasteten.
Gedankenverloren nippte Sebastian an seinem Wein, ohne auf die ins Zelt kommenden sarazenischen Tänzerinnen zu achten. Eine ließ sich im Schneidersitz auf einem Teppich in der Mitte des Zeltes nieder und barg eine Ziegenledertrommel zwischen ihren Beinen, eine andere setzte sich daneben und entlockte ihrer langen Flöte einen trillernden Ton. Die anderen drei barfüßigen Frauen sprangen auf die Tische. Ihre hauchzarten, fast durchsichtigen Gewänder und ihre verführerischen Blicke verleiteten die fröhlich zechenden, betrunkenen Ritter zu lauten, anzüglichen Pfiffen und lüsternem Johlen, noch ehe der Tanz begonnen hatte.
Das Mädchen, das Sebastian angesprochen hatte – ihren Namen wusste er nicht mehr, doch er erkannte sie an dem aufblitzenden Goldzahn, als sie lächelte –, kam Tambourin schlagend und die Brüste wiegend in graziösen Schritten geradewegs zur hohen Tafel.
»Fahimah riecht frisches Blut«, meinte Richard feixend und lehnte sich zu Sebastian hinüber. »Seid auf der Hut, wenn Ihr sie Euch ins Bett holt. Das Luder beißt, wenn sie die Leidenschaft packt.«
Sebastian lachte pflichtschuldigst, obgleich Fahimah und ihre Begleiterinnen ihn kaltließen. Während die rhythmischen Schläge der Trommel und das Klingeln der Schellenbänder an den Füßen der Tänzerinnen das Zelt mit einer berauschenden Musik zu füllen begannen, leerte er seinen Kelch und wollte den König gerade um Erlaubnis bitten, sich entfernen zu dürfen, als Fahimah auf den Tisch stieg. Einer heidnischen Opfergabe gleich, rekelte sie sich lüstern vor Löwenherz und seinen Offizieren. Der König fuhr mit der Hand über ihren straffen Bauch, dann beugte er sich vor und tauchte in einem leidenschaftlichen Kuss die Zunge tief in ihren Mund.
Leicht angeekelt von der zügellosen Darbietung wandte Sebastian sich ab und stand auf. Die beiden anderen Tänzerinnen boten sich gleichermaßen unzüchtig dar. Sie schüttelten lachend die Haare, drehten und bewegten sich zu der Musik, während ein Meer von Händen nach ihnen zu greifen versuchte und ihnen vulgäre Frivolitäten zurief.
In der hinteren Ecke des Zeltes allerdings gab es einen Tumult ganz anderer Art, bei dem sich Sebastian unwillkürlich die Nackenhaare aufstellten. Einer der Ritter, ein feiger Adliger, den er verachtete, bedrängte eine der Sarazeninnen. Sie war zierlich, gut einen Kopf kleiner als das halbe Dutzend Soldaten, das sie umringte und an die Zeltwand zurückdrängte wie ein Rudel Wölfe, das einen Hasen zur Strecke bringen will. Sebastian erhaschte einen Blick auf einen zerrissenen blauen Tunikaärmel und rabenschwarzes, glänzendes Haar, und unvermittelt kochte die Wut in ihm über.
»Lasst sie in Ruhe!«, brüllte er und sprang über den Tisch. Die Flötenspielerin blies vor Schreck einen schiefen Ton und duckte sich schnell, um ihm auszuweichen, als er in vollem Lauf durch das Zelt zu dem Ritter stürmte, der Zahirah betatschte. »Fallonmour! Lasst die Hände von ihr!«
Er drängte sich durch die Menge der lüsternen Gaffer, packte den Mann an der Schulter und versetzte ihm einen heftigen Stoß. Logan war gleich darauf an Sebastians Seite. Auch der
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