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Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Amber
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heulte auf bei dem schrecklichen Wissen über alles, was geschehen war. Sie wünschte, sie hätte es gewusst. Sie wünschte, sie beide könnten zurückgehen zu jenem Nachmittag, als sie achtzehn Jahre alt gewesen waren und gemeinsam die Flamme gehütet hatten. Sie wünschte, sie hätte zugestimmt, für immer vom Tempel fortzulaufen, als Michaela es vorgeschlagen hatte.
    Und an einem anderen Tag auf diesem letzten Weg, den sie gemeinsam gingen, teilte Michaela noch ein Geheimnis mit ihr, das genauso niederschmetternd war: Bastian hat mich nicht geliebt.
    Als dieser geflüsterter Gedanke kam, blieb Silvia mitten auf der Straße stehen. Hatte sie sich verhört? Doch Michaela fuhr fort: Liebe Via – sei nicht böse auf ihn … er hat mich vorgewarnt, dass er mich nicht lieben könne, noch bevor wir zum ersten Mal miteinander schliefen … aber ich dachte, ich könnte ihn ändern … doch, leider, konnte ich es nicht …
    Und an anderen Tagen kamen bessere, glücklichere Erinnerungen an die freudigen Ereignisse in ihrer beider Leben. Silvia lächelte, lachte und weinte, als Michaela ihr viele der schönen Zeiten in Erinnerung rief, die sie als Kinder erlebt hatten. Erste Schwärmereien für Jungen, Streiche, die sie anderen Vestalinnen gespielt hatten, das Erlernen der Magie, den Erwerb von Besitz in ihrem eigenen Namen, die stillen Zeiten, wenn sie gemeinsam die Flamme gehütet hatten, und gelegentliche sanfte Sommernächte, in denen sie sich geliebt hatten. Tausend alberne, rührende, kleine, kostbare Erinnerungen, geteilt von engsten Freundinnen.
    Ich bin müde, flüsterte Michaela ihr inzwischen fast täglich zu. Lass mich ruhen .
    Doch jedes Mal, wenn Silvia das hörte, stieg Panik in ihr auf, und sie beschleunigte ihre Schritte. »Nur noch ein wenig weiter«, flehte sie dann. »Ich will dich nicht verlieren. Noch nicht.«
    Und eines Tages, als es leicht zu schneien begann, hatte Michaela genug: Ich werde immer bei dir sein, Via … trage mich in deinem Herzen, und ich trage dich in meinem … aber mein Körper ist müde … lass mich gehen … es ist Zeit …
    Silvia holte tief Luft und blieb erschöpft auf der Straße stehen. Sie stand neben einem uralten Meilenstein. Entlang der Straße, auf der sie gelaufen war, war sie in regelmäßigen Abständen an zahlreichen dieser Zwei-Tonnen-Säulen vorbeigekommen. Jede von ihnen erhob sich etwa anderthalb Meter hoch und hatte fünfzig Zentimeter Durchmesser. Sie wusste das, weil irgendwann einer ihrer Wirte zu der Mannschaft gehört hatte, die die Steine aufgestellt hatte. Die Tafel zeigte die Entfernung zum Stadtzentrum des alten Roms an – zum Forum. Sie war genau einhundert Meilen gelaufen.
    Während dieser letzten Tage hatte sie kaum gegessen, kaum geschlafen. Michaela hatte recht. Sie konnten nicht noch weitergehen. Mit größtem Widerwillen gab Silvia nach, bog von der Hauptstraße ab und wanderte tief in einen urzeitlichen Wald aus Zypressen, Pinien, Olivenbäumen und Platanen.
    Sie hatte keine Tränen mehr und bewegte sich wie ein gefühlloser Automat, als sie eine kleine Mulde zwischen den Wurzeln eines alten knorrigen Olivenbaums entdeckte. Dort vergrub sie die drei Feuersteine, damit sie in Sicherheit waren, denn in ihrer Gestalt als Geistwandlerin würde sie nicht in der Lage sein, sie zu tragen.
    Danach sammelte sie schneebedeckte Zweige und Heidekraut, um eine dichte Unterlage daraus zu fertigen, etwa einen Meter siebzig lang und knapp einen Meter breit. Es sollte ein Scheiterhaufen sein, denn sie würde Michaelas Leichnam nicht zurücklassen, damit Pontifex’ Handlanger ihn finden konnten.
    Als alles bereit war, legte sie sich auf den weichen, duftenden Haufen und sah zum Himmel hinauf, von dem der Schnee herabrieselte. Die Luft war frisch und fühlte sich kühl an ihren Wangen an. Sie strich ihr Haar glatt und faltete die Hände über ihrer Brust.
    Dann flüsterten die innigen Freundinnen sich ein letztes Lebewohl zu.
    Silvia schloss die Augen und atmete tief ein, bis ihre Lungen zum Bersten voll waren, dann atmete sie wieder aus … und fühlte, wie mit der Luft ihre Essenz dahinging …
    Im nächsten Augenblick war sie körperlos – wieder eine Geistwandlerin. Sie stand da in dem stillen Wald und sah hinab auf Michaelas schönen, perfekten, reglosen Körper.
    Silvia bückte sich, arrangierte Heidekraut und Pinienzweige ordentlich um den Körper und besprenkelte ihn dann mit den Blütenblättern von Schneeglöckchen. Während sie zu

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