Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
beginnen.«
Er blieb vor ihr stehen und reichte die Peitsche über ihre Schulter hinweg an jemanden hinter ihr weiter. Sie hörte Schritte und das Rascheln von Roben. Einer der Hohepriester stand nun hinter ihr, vermutete sie. Er nahm die Peitsche und trat zurück, um zuzuschlagen.
Der Schlag kam unerwartet und brannte wie Feuer auf ihrer Schulter. Sie kippte nach vorn und richtete sich dann wieder auf. Götter, wie sollte sie noch elf weitere aushalten?
Pontifex’ Augen blitzten auf, und er sprach wieder. »Noch einen, Bruder. Sie muss noch einen Schlag von deiner Hand erhalten.«
»Bruder?«, echote Silvia.
Pontifex lächelte. »Es ist sein Recht, an deiner Bestrafung teilzunehmen. Ich überlasse ihm die beiden Schläge, die mir zustehen.«
Silvia drehte den Kopf genau in dem Moment, als der zweite Schlag kam, und fühlte, wie der Schlag ihre Wange traf. Sie hob die Finger an ihr Gesicht, und als sie sie ansah, war Blut daran. Sie fiel auf die Knie. Durch einen Dunstschleier aus Schmerz sah sie ein geliebtes, vertrautes Gesicht. »Vater?«
Betrübtes Gemurmel erhob sich um sie herum. Sie spähte in Richtung der Stimmen der anonymen Hohepriester, die im Dunkel jenseits der Kerzen verborgen waren. Als sie sich wieder umsah, dorthin, wo ihr Vater gestanden hatte, war er verschwunden. Sie konnte ihn nirgendwo entdecken.
Verschwommen tauchte das Gesicht von Pontifex in ihrem Blickfeld auf. Er hob sie auf die Füße, und seine trockene Hand drehte ihren Kopf ins Licht.
»Was wird man davon halten, dass du es zugelassen hast, dass er mich entstellt?«, schmähte sie ihn, in der Hoffnung, ihn zu beschämen. Doch er drückte nur einen sanften Kuss auf ihre Lippen und sagte: »Man wird sagen, dass du wunderschön bist.« Schwach stieß sie ihn weg.
Da schlug etwas von außen gegen die Tür. »Halt! Lasst mich rein! Ich bin die Schuldige!«
Michaela? Silvia schüttelte den Kopf und wollte etwas erwidern, aber ihre Zunge lag schwer in ihrem Mund. Der Trank. Die Tür ging auf, und sofort war ihre liebste Freundin im Raum und bei ihr und drückte sie an sich.
»Ich bin verantwortlich für das, was geschehen ist«, verkündete Michaela. »Ich war diejenige, die die Flamme schwinden ließ, nicht sie.«
»Occia hat etwas anderes berichtet«, entgegnete jemand.
»Sie lügt. Sie ist eifersüchtig auf Silvia. Da könnt ihr jeden fragen.«
Silvia brachte mühsam die Worte heraus. »Nein, ich verdiene die Bestrafung. Es war meine Schuld. Noch zehn Schläge.« Sie schwankte und legte eine Hand an ihren Kopf, in dem sich alles drehte.
Michaela trat nahe an Pontifex heran – näher, als der Anstand es erlaubte. Ihre Stimme senkte sich zu einem bezaubernden Necken. »Lasst sie gehen, Hohepriester. Bestraft mich.«
Pontifex betrachtete forschend ihr Gesicht, und etwas in seinem eigenen Gesicht veränderte sich. Er winkte eine Dienerin heran. »Bring Silvia zurück zum Haus«, befahl er.
»Nein«, flüsterte Silvia, aber sie war zu betäubt, um sich wehren zu können, und so trug man sie hinaus und übergab sie der Fürsorge von Vestalis, deren sanfte Hände sich um sie kümmerten. Als sie am nächsten Morgen erwachte, erblickte sie Michaela auf dem Bauch liegend in dem Krankenbett neben sich. Bei dem Anblick der zehn roten Striemen, die sich kreuz und quer über ihren glatten Rücken zogen, keuchte Silvia auf.
Vestalis war gerade dabei, Kompressen darauf zu legen. »Schsch. Ich habe ihr einen medizinischen Zaubertrank gegeben. Sie wird den ganzen Tag über bis in die Nacht schlafen. Und anders als bei dir werden ihre Wunden heilen.« Silvia hob eine Hand an ihre Wange und fühlte die frische Wunde.
Als Michaela in jener Nacht aufwachte, weigerte sie sich, irgendetwas zu erzählen, was in der Regia vor sich gegangen war, nachdem Silvia weggebracht worden war. Sie ließ Silvia schwören, Pontifex niemals danach zu fragen, und sie selbst sprach niemals wieder über eine mögliche Flucht aus dem Tempel. Aber Silvia wusste, dass etwas Schreckliches geschehen war. Und niemals wieder würde sie Pontifex vertrauen, oder ihrem Vater – oder überhaupt irgendeinem Mann.
Und von jenem Tag an würde keine von beiden die Flamme Vestas ohne die andere hüten. Denn von ihnen beiden war nur Silvias Wärme in der Lage, die Flamme zu schüren. Und das war etwas, das niemand je herausfinden durfte.
14
M it den Steinen in der Hand ging Silvia die uralte Via Sacra entlang. Sie befand sich noch immer im Körper Michaelas, beide
Weitere Kostenlose Bücher