Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
zerre.«
Sal hatte inzwischen einen Stock, den er verloren hatte, wiedergefunden und bettelte um ein Spiel. Silvia warf den Stock für ihn.
Michaela sah dem Hund mit gerümpfter Nase nach. Sie hatte sich nie für Haustiere erwärmen können. »Ein Zuhause für diese Promenadenmischung zu finden – ist das wieder einer dieser letzten Wünsche, die du erfüllen willst?«
Silvia nickte unbekümmert. »Ricos letzte Bitte.« Sie war die einzige unter den Geistwandlerinnen, die standhaft darauf beharrte, die letzten Wünsche ihrer Wirte zu erfüllen. Für sie war das eine Frage der Ehre.
Bei der Erwähnung von Rico warf Michaela ihr einen strengen Blick zu. »Ich weiß, dass du diese Form mit Absicht angenommen hast, Via, damit ich dich nicht dazu nötigen kann, dich Bastian und mir im Liebesspiel anzuschließen.«
»Es wäre doch ziemlich unangemessen, findest du nicht?«, fragte Silvia neckend. »Wenn man bedenkt, dass ich ein beeinflussbares Kind von zwölf Jahren bin.« Sal kam mit dem Stock zurück. Silvia warf ihn erneut, noch weiter diesmal, und Sal jagte hinterher.
»Aber ein Junge?«, meinte Michaela und hob ihren Sonnenschirm auf die andere Schulter, um Silvia besser anfunkeln zu können.
»Ich mag die Freiheiten, die man als männliches Wesen hat«, erwiderte Silvia. »Sich im Stehen erleichtern zu können. Kein Ehemann oder Verehrer, der mich wegen sexueller Gunstbeweise bedrängt. Du hast ja keine Ahnung, wie viel Anstrengung es gekostet hat, über die Jahrhunderte jungfräulich zu bleiben. Ich habe Tausende Hände abgewehrt, da kannst du sicher sein.«
»Nun, du wirst nicht lange ein Kind bleiben. Noch etwa zwei Wochen, dann ist Vollmond. Dann wirst du einen neuen Wirt suchen müssen. Nimm das nächste Mal eine erwachsene Frau, ja?«
»Warum?«
»Weil ich will, dass er …« Frustriert verstummte Michaela.
»Dass er weiß, dass ich eine Frau bin? Denkst du wirklich, das ist alles, was nötig wäre, um ihn zu überreden?«, fragte Silvia. »Nein, vergiss das, woran du da denkst, Michaela. Ich gehe ihm auf die Nerven. Und ich bezweifle, dass das anders wäre, wenn ich Röcke trüge.«
» Rico geht ihm auf die Nerven. Und das nicht so sehr, wie du denkst. Er schien dich gernzuhaben.«
Silvia wischte die Bemerkung beiseite. »Selbst wenn er den Wunsch äußern würde, dass ich mich auf Dauer im Bett zu euch gesellen soll, sobald ich wieder eine Frau bin – und das ist ein sehr großes ›Wenn‹ –, würde das doch nur Pontifex’ Zorn auf seine Familie lenken.«
»Sofern er es je herausfände.«
»Er hat überall Spione. Spione, die ihn bereits darauf aufmerksam gemacht haben, dass du dem Klan der Satyrn hier in Rom ein wenig zu eng verbunden bist.«
Michaela schnappte nach Luft.
»Er schien es zu akzeptieren«, versicherte Silvia ihr. »Er hat andere Dinge im Kopf. Die Steine. Aber vorerst müssen wir behutsam vorgehen und alles vermeiden, was seine Wut erregen könnte.«
»Wir haben uns nur zu drei Jahrzehnten Dienst bei Vesta verpflichtet«, antwortete Michaela grimmig und ging schneller, während ihr Ärger wuchs. »Pontifex hat dafür gesorgt, dass unser Dienst sehr viel länger dauerte. Er hat die ursprüngliche Vereinbarung gebrochen. Es ist nur ausgleichende Gerechtigkeit, wenn wir unsere Gelübde brechen.«
»Meine Gelübde gelten Vesta, nicht Pontifex«, sagte Silvia.
»Im Ernst, Via.« Michaela drehte an ihrem Sonnenschirm herum und warf ihr einen fragenden Blick zu. »Wie lange genau hast du vor, Jungfrau zu bleiben?«
»Ganz genau? Hm.« Sie warf noch einmal den Stock für Sal, während sie vorgab, zu überlegen. »Was willst du von mir hören, Michaela? Willst du das Versprechen von mir, dass ich in dem Augenblick, da ich die Steine finde, den nächstbesten Mann darum bitte, mich von meinem Jungfernhäutchen zu befreien?«
»Wir suchen nun schon seit Hunderten von Jahren nach den Steinen. Wann wird man sie finden? Wenn noch ein Jahrhundert vergangen ist? Ein weiteres Jahrhundert, in dem dein Leben bar der Liebe eines Mannes ist? Wenn Bastian und ich längst tot und begraben sind, ist es zu spät. Teile mein Glück mit mir, jetzt, solange du noch kannst.« Sie nahm Silvias Hände in ihre eigenen behandschuhten Hände.
Silvia drückte ihre makellosen Finger und sah, dass sie die Handschuhe mit ihren verdreckten Händen beschmutzte. Obwohl sie jeden Morgen in einem Brunnen badete, war sie nach einem Tag auf dem Forum schmutzig. Die Furcht, dass sie einwilligen könnte,
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