Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
sie neugierig geworden war und ihn selbst sehen wollte.
Sie war seit Monaten mit Bastian zusammen, und Silvia kannte ihn erst eine knappe Woche; und doch fühlte sie sich plötzlich wie ein Außenseiter neben den beiden. Die Art ihres Geplänkels ließ eine unbeschwerte Kameradschaft vermuten; ein Band, das seine Ursache in gemeinsamen Interessen hatte. Es war eine Verbundenheit, von der sie wegen ihrer mangelnden Vertrautheit mit Bastians Arbeit ausgeschlossen war. Weder war sie je hierher eingeladen worden, noch hatte sie je eine Einladung erwartet. Männerarbeit blieb Männerarbeit, und sie verspürte wenig Interesse an Ausgrabungen. Trotzdem gefiel ihr das Gefühl, ausgeschlossen zu sein, gar nicht.
»Welchem Umstand verdanke ich diesen unerwarteten Besuch?«, fragte Bastian.
Michaela, getrieben von dem plötzlichen Bedürfnis, ihn vor den anderen als den Ihren zu kennzeichnen, kam auf ihn zu, streckte sich auf die Zehenspitzen und bot ihm ihren Mund. Er akzeptierte ihr Angebot mit einem Kuss, und seine Hand legte sich fest an ihren Rücken. Sie liebte die Art, wie er sie berührte, und auch seine Stimme war ein Reiz, den sie in den kommenden Stunden mit sich tragen würde.
»Störe ich?«, fragte sie und strich mit einer Hand über seinen Nacken.
Als Bastian ihr nicht sogleich das Gegenteil versicherte, sprang Sevin in die Bresche: »Nicht im Geringsten. Mein großer Bruder und ich haben Geschäftliches zu besprechen. Aber es ist immer eine Freude, dich zu sehen.«
Michaela sah Bastian lächelnd in die Augen, um ihn dazu zu bringen, Sevins vorgebliche Freude zu teilen.
Silvia nickte Sevin zu, der sich neben ihr am Schreibtischrand niedergelassen hatte und ein paar Augenblicke damit verbrachte, ihr bei dem Mosaikpuzzle zu helfen. Das Kinn auf die Hand gestützt, plauderte sie unbeschwert mit ihm. Mittlerweile waren sie sich schon einige Male begegnet und hatten eine Art zaghafte Freundschaft entwickelt. »Du kannst das besser als dein älterer Bruder. Er hat manchmal keinen Sinn für Farbe.«
»Ach wirklich?«, antwortete Sevin, plötzlich wachsam. »Im Allgemeinen hält man ihn für ziemlich geschickt, was Farben angeht.«
»Hmph«, machte sie spöttisch, arbeitete halbherzig an dem Mosaik weiter und betrachtete die beiden anderen Anwesenden im Zelt. Sie beobachtete ihre Umarmung und erkannte, dass etwas nicht stimmte. An jenem Morgen, als Silvia die beiden zusammen im Bett gesehen hatte, schien Bastian durchaus Gefallen an Michaela zu finden. Doch nun setzte Michaela alle Tricks einer Begleiterin ein, und trotzdem schien dieser Mann nicht zu Wachs in ihren Händen zu werden, so wie alle anderen.
Vielleicht war genau das der Grund, warum Michaela ihn mehr als all die anderen Männer begehrte, die sie erwählen könnte. Er ergab sich ihren Verlockungen nicht so leicht. Oder vielleicht war es auch seine reichlich vorhandene, männliche Sinnlichkeit, dachte Silvia, als sie zusah, wie er mit einem leichten Schwung der Hüften seine Position veränderte. Er stand mit dem Rücken zu ihr, und bei jeder noch so geringen Bewegung spannte sich der Stoff von Hemd und Hose über prachtvolle Muskeln, die zur Zeit der Renaissance der Arbeit eines Michelangelo würdig gewesen wären. Wenn sie selbst einen Mann formen müsste, um den Geist zu stimulieren und die Sinne zu erfreuen, so hätte sie keinen besseren zustande bringen können.
»Deine Aufmerksamkeit lässt nach, Wichtel«, meinte Sevin leise, und sie bemerkte, dass er sie beobachtet hatte, während sie seinen Bruder betrachtete. Sie errötete und ärgerte sich, als sie feststellte, dass sie in dem Mosaik einen Fehler gemacht hatte. Sie wandte dem Paar den Rücken zu, um den Fehler zu korrigieren, und versuchte nun, sich auf das Puzzle zu konzentrieren und den beiden ein wenig Privatsphäre zu verschaffen.
Michaela sah über Bastians Schulter und lächelte in sich hinein. Immer noch die alte Silvia, die stets versuchte, emotionalen Verstrickungen aus dem Weg zu gehen. Ihr Anflug von Eifersucht war unbegründet gewesen. Selbstverständlich. Was hatte sie sich denn dabei gedacht? Dies war Silvia, ihre liebste Freundin, nicht irgendeine Rivalin im Kampf um Bastians Zuneigung.
Als Bastian sie wieder freigab, tat Michaela so, als würde sie dem Jungen zum ersten Mal ihre Aufmerksamkeit zuwenden. »Und wer ist das?«, fragte sie.
»Ein diebischer Wichtel mit schlechten Manieren, der gekommen ist, um für mich zu arbeiten«, antwortete Bastian beiläufig und
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