Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
dass er mit seinen Gedanken woanders war. Und dann, mechanisch, legte er einen Arm um sie und folgte Sevin und den anderen zu den Zimmern.
Bastians große Hand legte sich auf Silvias Rücken, und augenblicklich vergaß sie seine Brüder und deren Partnerinnen, als er sie zu seinem gewählten Ziel führte.
12
E ntschlossen und zügig führte Bastian Michaela am Karussell vorbei und weiter zu den hohen schmiedeeisernen Toren, die sein Ziel waren. Nebelnymphen – dienstbare Wesen, die nur von den Satyrn aus dem Nichts heraufbeschworen werden konnten – dienten hier als Wächter, und als er sich näherte, traten sie beiseite und öffneten die Tore. Sie waren in strenge schwarze Gewänder gekleidet und hielten den Blick geradeaus gerichtet, sorgfältig darauf bedacht, das Kommen und Gehen ihrer Meister nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Nachdem er mit Silvia durch die Tore gegangen war, wurden diese von den Wächtern geschlossen und abgesperrt. Als Silvia das sah, warf sie ihm einen Blick zu, und er las die Frage in ihren Augen: Was geht hier vor sich, dass es so sicher bewahrt bleiben muss?
Er ließ eine Hand ihren Rücken hinaufgleiten, unter ihr seidenweiches Haar, und führte sie einen Steinpfad hinauf, der mit üppiger Vegetation gesäumt war. »Sevin hat dich heute Abend vor mir gewarnt«, erklärte er. »Wenn du die Absicht hattest, zu fliehen, dann hättest du es tun sollen.«
»Ich will nicht fliehen.«
Seine Antwort war ein dumpfes, freudloses Auflachen. Sie wusste nicht, was unter dem Einfluss des Weins aus ihm wurde. Nicht einmal seine Brüder kannten die ganze Wahrheit. Sie alle sahen zu ihm auf und hielten ihn für ein Vorbild. Aber sie würden anders über ihn denken, wenn sie ihn damals hätten sehen können, in den Jahren, da er seine Tage und Nächte mit sinnlichen Genüssen verbracht hatte, eine Flasche Wein ständig in Reichweite.
Seinen ersten Schluck vino , gekeltert aus den Trauben, die in den uralten Weinbergen der Satyrn kultiviert wurden, hatte er in der ersten Rufnacht seines Lebens gekostet. Und mit diesem ersten, kleinen Schluck war er in einen Abgrund gestürzt. Es war die Woche seines achtzehnten Geburtstags gewesen – derselbe Tag, an dem seine Eltern beide an der Krankheit gestorben waren. Doch der Mond hatte kein Mitgefühl gezeigt. Schonungslos hatte er Bastian in jener Nacht in seine Reihen berufen und verlangt, dass er sich an den uralten Ritualen zu Ehren des Gottes Bacchus beteiligte.
Sobald mit dem Anbruch der Morgendämmerung alles vorbei war, hatte er Italien verlassen und damit auch seine jüngeren Brüder, die ihn gebraucht hätten. Doch der Wein hatte ihm eingeflüstert, dass sie ihn nicht brauchten, und ihm befohlen, umherzuschweifen und nur sein eigenes Vergnügen zu suchen. Er hatte den Kontinent bereist, alte Stätten jeder Art besucht und seinen Genuss zwischen den Schenkeln Hunderter Frauen gefunden, in einem Saufgelage, das vier Jahre lang gedauert hatte. Nur durch Zufall war es zu einem Ende gekommen, als er eine Woche lang ohne Alkohol auf einem schneebedeckten Berggipfel in der Mongolei festsaß. So war er vom Zauber des Weins befreit worden, und seitdem hatte er nie wieder auch nur einen Tropfen Alkohol angerührt. Bis heute.
Das sanfte Plätschern von Wasserfällen drang an sein Ohr, als er sein Opferlamm zu dem sybaritischen Schlachtfest geleitete, immer weiter auf einem Pfad entlang, der sie stetig aufwärtsführte.
»Wo sind wir?«, fragte sie.
Er erwiderte ihren Blick, und sein Hunger nach ihr wurde nur noch größer beim Anblick ihres schlanken, weiblichen Körpers und dem Wissen, dass sie für die kommende Nacht ihm gehörte. Sein Körper drängte ihn, sie auf der Stelle zu nehmen, hier in dieser üppigen Oase. Doch er musste bis zur Wandlung warten. Nur noch einige Minuten, bevor es beginnen würde.
»Es ist eine Art Insel, abgeschieden vom Rest des Salons durch die schmiedeeisernen Tore, die sie umgeben«, erklärte er. »Ein privater Bereich, der strikt der Nutzung meiner Familie vorbehalten ist, gewidmet unserem Gott.«
Der Pfad endete an einer idyllischen, üppig bewachsenen Lichtung, umgeben von Blumen aus der Anderwelt, Weinranken und anderen Pflanzen. In ihrer Mitte befand sich eine Grotte, die wie ein Amphitheater geformt war. Ihre gegenüberliegende Wand erhob sich zu einer flachen Höhle von etwas mehr als neun Metern Höhe und Breite. Tausende Muscheln waren in ihre Zementwände eingesetzt und formten ein Mosaik aus erotischen
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