Das Herz des Südens
müssen.
Und was Papa anging … Wie konnte er Cleo so viel Aufmerksamkeit schenken, als wäre sie seine eigene Tochter? Josie kannte die Antwort: Papa liebte Cleo. Josie verstand nicht, warum, aber sie wusste, es war so. Und es war einfach ungerecht, denn Papa gehörte zu ihr, nicht zu Cleo.
Sie presste die Lippen aufeinander und vermied Cleos Blick im Spiegel.
Als Cleo noch einmal versuchte, die Rosen in dem honigfarbenen Haar zu befestigen, sagte sie plötzlich: »Ach, lass nur, ich mache es selbst.«
Cleo ließ die Arme sinken.
»Du musst doch auch noch anderes zu tun haben«, sagte Josie und tat so, als wäre sie plötzlich sehr interessiert an den Bürsten auf ihrem Frisiertisch.
Cleo verließ das Zimmer mit diesem schweigenden Widerstand, den Josie so hasste. Wenn Cleo ihr verschlossenes Gesicht aufsetzte und sich in das schützende Schweigen der Sklavin zurückzog, fühlte sich Josie selbst, als hätte man sie in ihre Schranken verwiesen. Sie griff nach den Rosen. »Mist«, sagte sie wütend. Sie konnte die Blüten nicht in ihrem Haar befestigen, und sie war zornig auf sich, weil sie Cleo so kühl behandelt hatte.
Ich sollte nicht so eifersüchtig sein, das ist ein Fehler. Wenn ich nicht aufpasse, werde ich noch so gemein und misstrauisch wie Maman.
Cleo war wirklich zu bedauern. Keine seidenen Ballkleider, kein Tanz im Arm eines gut aussehenden Mannes. Maman ärgert sich, wenn ich mich entschuldige. Aber ich kann Cleo bitten, mit mir ins Küchenhaus zu gehen, und ihr zeigen, wie man Baisers macht.
Als Josie aufstand, um nach Cleo zu suchen, hörte sie die ersten Töne eines Menuetts. Das war Cleos Rache. Cleo wusste, Josie wünschte sich nichts sehnlicher, als schön spielen zu können, aber irgendwie erreichten die Gefühle in ihrem Herzen niemals ihre Finger. Jetzt hauchte Cleo genau jenem Menuett Leben ein, an dem Josie sich seit Wochen abmühte. Josie bekam Klavierunterricht, Josie konnte Noten lesen, Josie übte sich die Finger wund – und Cleo spielte so, dass die Musik leuchtete und sang.
Josie setzte sich wieder und drehte die wunderschönen Rosenknospen zwischen ihren Fingern. Jetzt waren Papas Schritte im Salon zu hören, und sein klarer Bariton sang zu einem Stück, das Cleo bei Josie gehört hatte. Josie ließ die Schultern sinken. Sie zerquetschte die Rosen in ihrer Hand, bis ihr die Dornen in die Handfläche stachen. Ein Blutstropfen fiel auf das weiße Kleid.
Ein paar Tage später war die Eifersucht vergessen, und aus dem Frühling war unmerklich Sommer geworden, sanft wie das Strömen des Mississippi. Die Bienen summten in den Glyzinien, die Vögel spritzten im Vogelbad herum, und die Eichhörnchen sprangen durch die moosbewachsenen Bäume.
Während die Morgensonne die Rosen erwärmte und ihren Duft bis zur Gartenlaube strömen ließ, saß Josie dort mit ihrer Mutter. Sie ließ die Stickarbeit in den Schoß sinken und beobachtete die Schatten der Eiche auf dem Gesicht ihrer Mutter, die auf ein inneres Flüstern zu lauschen schien, während sie den Rosengarten betrachtete.
»Tut dir der Rücken wieder weh, Maman?«
Sie lächelte. »Das bisschen Rückenschmerz ist ein geringer Preis für ein Baby.«
»Bibi, würdest du bitte den Fußschemel holen?«, sagte Josie.
Der Friede, den Maman und Bibi über die Jahre hinweg erreicht hatten, wurde durch persönlichen Kontakt leicht in Gefahr gebracht, also hob Josie die geschwollenen Füße ihrer Mutter selbst an, als Bibi zurückkam, und ließ den roten Samtschemel an seinen Platz gleiten.
»Sie kann dann gehen«, sagte Maman zu Josie, die Bibi einen kurzen Blick zuwarf. Bibi nahm ihren Flickkorb und ließ die beiden Frauen allein.
Maman streckte die Hand aus. »Lass sehen, Josephine.«
Seufzend reichte Josie das leinene Mustertuch hinüber. Sie war inzwischen fast achtzehn Jahre alt, und immer noch waren ihre Stickarbeiten bestenfalls mittelmäßig, selbst an den Tagen, an denen sie sich besondere Mühe gab, genau zu sein. Maman verlangte so winzige Stiche, und alles, was so winzig war, verschwamm Josie einfach vor den Augen.
Sie hatte auch Schwierigkeiten mit dem Lesen. Manche von den Büchern, die Mademoiselle Fatima ihr gab, waren so klein gedruckt, dass Josie beim Lesen Kopfschmerzen bekam. Bibi hatte ihr schon vorgeschlagen, ihren Vater um eine Lesebrille zu bitten, wie er selbst eine auf der Nasenspitze trug, aber Josie hatte sich rundheraus geweigert. Damen trugen keine Brille, jedenfalls nicht, wenn sie schön sein
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