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Das Herz des Südens

Das Herz des Südens

Titel: Das Herz des Südens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gretchen Craig
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die Nachthemden anzuziehen. Wie schön das wäre, dachte sie, ein ganzes Haus voll kleiner Jungen zu haben. Und wie wunderbar es erst sein musste, wenn man ein kleines Mädchen hatte, dem man die Haare hochstecken und dem man hübsche Kleider mit bunten Bändern anziehen konnte.
    Sie zündete die Öllampe an und stellte sie vor den Spiegel auf der Frisierkommode. Von ihrem Schönheitsfleck war noch ein kleiner Rest zu sehen. Sie befeuchtete ihr Taschentuch und rubbelte den Rest weg. Albern, dachte sie. Phanor hatte der Schönheitsfleck überhaupt nicht gefallen. Aber er hatte gesagt, sie sei hübsch. Sie blickte sich eine Weile im Spiegel an. Keine großartige Schönheit, das konnte sie deutlich erkennen, aber einigermaßen hübsch. Und wenn sie mit Phanor zusammen war, dann fühlte sie sich auch hübsch.
    Bertrand wäre niemals so linkisch gewesen, ihr mit dem Daumen durchs Gesicht zu fahren, wie Phanor es getan hatte, aber er hätte vermutlich gedacht, dass sie eine dumme Gans war, und wäre trotzdem freundlich geblieben. Zum Glück hatte Phanor ihr das erspart.
    Seit dem Augenblick, als sie Tante Marguerites Einladungsliste gelesen hatte, dachte sie nur den Abend. Bertrand würde in seinem rot gefütterten Cape erscheinen. Sie würde durchaus bemerken, dass er kam, wäre aber zu beschäftigt mit den Herren, die um sie herumstanden, sodass sie ihn nicht gleich begrüßen konnte. Er würde nach ihr suchen und sie sofort entdecken. Und sobald er eine Chance sah, würde er zu ihr kommen, und er würde staunen, wie sehr sie in den vergangenen Monaten gereift war.
    »Josephine«, würde er sagen, »du bist einfach zauberhaft.«
    Und sie würde ihren Fächer ein wenig bewegen und murmeln: »Merci«, und dann würde sie es fertigbringen, nur ein ganz klein wenig rot zu werden. Und er würde sich wünschen, sie wieder zu küssen, das würde sie in seinen Augen lesen.
    Die Kapelle würde einen Walzer spielen, und Bertrand würde sie bitten, mit ihm zu tanzen. Sie würde ihm ihre Hand auf den Arm legen, ihre kleine Hand mit dem Spitzenhandschuh, und dann … dann wusste sie nicht mehr weiter. Die Spitze war schwarz, und wenn sie in ihrem Trauerkleid tanzte, würde es wieder Gerede geben. Und ihre Hände waren auch nicht winzig. Ihre Finger waren ziemlich lang, ebenso wie ihre Arme und Beine. Elegant, dachte sie, aber winzig, nein.
    Winzig oder nicht, sie war nicht mehr das Mädchen, das Bertrand im letzten Herbst gesehen hatte. Nun hatte sie eine ganze Saison lang geübt, wie man sich in Gesellschaft bewegte, und sie fühlte sich durchaus in der Lage, mehrere Männer zu unterhalten, darunter den gut aussehenden Alphonse. Und Bertrand würde begreifen, dass sie bereit war.

25
    Zum ersten Mal in seinem Leben hatte Remy genug zu essen. An diesen ersten Tagen in der Stadt gab er jede Münze, die er verdiente, für Essen aus. Und er verdiente mehr, als er für möglich gehalten hatte. Allerdings hatte er kein Gespür für Preise, und so rann ihm das Geld nur so durch die Finger. Ein Teller Bohnen mit Reis konnte im einen Lokal zwei Pesetas kosten und sechs in einem anderen – Remy zahlte einfach, was man von ihm verlangte.
    Die Flucht war ohne Schwierigkeiten vor sich gegangen. Louis hatte Remy geraten, sich einen anderen Namen auszudenken, bevor sie den Fluss erreichten, und niemand stellte dem Cajun-Herrn und seinem Sklaven Alain irgendwelche falschen Fragen. In New Orleans wurden sie schon von Phanor erwartet. Er hatte jede Schiffsankunft der letzten drei Tage abgepasst und darauf geachtet, dass seine Anwesenheit unbemerkt blieb, aber jetzt wurde er langsam unruhig. Phanor begrüßte Louis mit Küssen auf beide Wangen und ignorierte den Sklaven Alain, wie es üblich war.
    Er führte sie durch die unteren Straßen der Stadt, vorbei an den Lagerhäusern voll mit importierter französischer Seide, Satin, Wein, Möbeln, Geschirr, Gläsern und Büchern. Sie suchten sich ihren Weg durch das Handwerkerviertel, stets auf der Hut vor Unrat auf den ungepflasterten Straßen, vorbei an lauten Schnapsbuden für die Seeleute, billigen Bordellen, wo sich eine magere Frau mit unglaublich rotem Haar anbot, und weiter zur Rue Boucher, wo ihnen der Geruch von frisch geschlachtetem Rind und das Gesumm der Fliegen entgegenschlug, die sich an Eingeweiden und Blut gütlich taten.
    Am nächsten Morgen fuhr Louis mit dem Schiff wieder heimwärts, den Fluss hinauf. Remy blieb fürs Erste unsichtbar in Phanors gemietetem Zimmer, einem spärlich

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