Das Herz des Südens
geschehen war, wann immer sie es sich gestattet hatte, an Bertrands neckende braune Augen mit dem hellen Funkeln zu denken, an seine Lippen auf den ihren oder – am allerschlimmsten – an Bertrand in Cleos Bett. Aber diesmal schien ihr der Schmerz alt, vertraut und verstummt. Das Leben war weitergegangen, und sie war nicht mehr die Josie, die sie vor zwei Jahren gewesen war. Sie war nicht einmal mehr das Mädchen, das sie kurz nach Gabriels Geburt gewesen war, als sie so verletzt gewesen war, dass sie ihn Cleo aus den Armen gerissen hatte. Sie schämte sich und bereute, was sie an jenem furchtbaren Tag getan hatte, das schon, aber sie sehnte sich nicht mehr nach Bertrand.
Cleo erlebte also dasselbe wie ihre Mutter, dachte sie. Wie damals Bibi, so liebte auch sie einen verheirateten Mann, einen Weißen, der ihr niemals ganz gehören würde. Gott sei Dank, dass sie, Josie, nicht die Rolle ihrer eigenen Mutter spielen musste. Arme Abigail.
Josie sah sich in dem Zimmer um. Cleos Zimmer. Drei Kleider auf satinbezogenen Bügeln hingen an Wandhaken, eines aus rotem Samt, eins aus blauer Seide und eins aus bronzefarbenem Satin mit Spitze. Schöne Kleider, teuer und elegant.
Phanor folgte ihrem Blick. »Sie lebt von ihrem Gesang«, erklärte er. »Sie singt im Les Trois Frères, wo wir uns an dem Sonntagnachmittag im Frühling getroffen haben.«
»Dieses Haus hier gehört also Cleo?«
Phanor nickte. »Sie verdient ihr eigenes Geld.«
»Dann ist sie wirklich frei«, murmelte Josie.
Den ganzen Tag lang und auch noch den nächsten schwitzte und stöhnte Cleo und schlug im Fieberwahn und vor Schmerzen um sich. Josie und Phanor hielten ihr die Tasse mit dem Wasser immer wieder an die Lippen, vor allem wenn sie so stark fieberte, dass sie nicht einmal mehr schwitzte. Sie wuschen sie, wenn sie Blut spuckte oder sich erbrach, und sie rieben sie immer wieder mit Essigwasser ab. Phanor stellte frische Zwiebeln in einer Schüssel neben ihr Bett und verbrannte die alten, und sie beide, Phanor und Josie, beteten für sie.
Am frühen Morgen des dritten Tages ging Josie für ein Weilchen in ihre Küche, um Louella beim Backen zu helfen. Sie sollte mittags wiederkommen, um Phanor abzulösen, damit er am Nachmittag seinen Geschäften nachgehen konnte. Einen Häuserblock von ihrer Küche entfernt hörte sie Gabriel brüllen. Sie lief schneller und stieß die Tür auf – vollkommen ungerührt stand Louella am Herd und rückte den Braten auf dem Spieß zurecht. Gabriel saß auf dem Boden, den Saum seiner Schürze unter einem Bein des schweren Arbeitstisches festgeklemmt, und sein kleines Gesicht war rot vor Zorn.
»Louella, was machst du denn da?« Josie eilte herbei, um das Tischbein anzuheben, befreite Gabriel und zog ihn in die Arme. »Na na, mein Schatz, ist ja gut.«
»Mamsell, du verwöhnst das Kind«, sagte Louella. »Er ist überall, wieselt mir zwischen den Beinen herum, greift in die Asche, verbrennt sich … Stell bloß das Tischbein wieder auf seinen Saum.«
Josie wiegte ihn in ihren Armen. »Ich behalte ihn auf dem Schoß.«
»Wenn du glaubst, du könntest Pfirsiche schneiden und seine Hände aus dem Weg halten, dann bist du wirklich besser als ich.«
Josie schnitt und entsteinte die Pfirsiche und vermischte sie mit Zucker und Zimt, während sie die ganze Zeit versuchte, das Messer außer Gabriels Reichweite zu halten. Trotz des Schlafmangels und der Sorge um Cleo hatte sie ihre helle Freude an dem Kind. Sie fütterte ihn mit Pfirsichstücken und kümmerte sich nicht darum, dass er sie von oben bis unten mit Saft beschmierte. Als die Früchte fertig waren, um sie in den Teig zu füllen, hatten sie beide klebrige Gesichter und Arme.
Bei der Arbeit beschrieb sie Louella Cleos Symptome und die Pflegemaßnahmen, die Phanor und sie bisher durchgeführt hatten.
»Spuckt sie noch Blut?«
Josie schüttelte den Kopf, und wieder ging ihr die Sorge durch den Kopf, dass sie keinen Arzt zur Hand hatten.
»Nun, ihr tut weiß Gott alles, was ihr tun könnt. Ob sie Blut spuckt oder nicht, es liegt alles in Gottes Hand.«
Gabriel wollte laufen, und Josie führte ihn an zwei Fingern durch die Küche. Mutig ließ er eine Hand los und strahlte wie die Sonne, während er von der Bank zum Stuhl und zurück in Josies Arme stolperte.
»Gute Idee«, sagte Louella. »Mach ihn schön müde, bevor du ihn hier bei mir lässt. Ich lege ihn dann schlafen und mache die Pasteten fertig.«
Josie küsste Gabriel zum Abschied und band ihre Haube
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