Das Herz des Südens
das Moskitonetz zur Seite und schlug die Decke zurück. Sie begann, die Fensterläden zu schließen, aber Josie hielt sie auf. »Lass sie bitte offen.«
Dann legte sie sich ins Bett und wartete darauf, dass das Morgenlicht die Schatten vertrieb. Sie durchlebte jeden einzelnen Augenblick der letzten Stunden noch einmal – wie schön Maman im Kerzenschein ausgesehen hatte, dann die Panik in ihren Augen, die kalten Hände, die seltsamen letzten Worte.
Warum war ihre Großmutter so zornig gewesen, als sie mit Papa gesprochen hatte? Bibi war doch Teil der Familie. War es denn etwas Schlechtes, dass sie versucht hatte, Papa zu trösten? Als Josie endlich die Augen schloss, dachte sie an die vielen, vielen Male in ihrer Kindheit, da Bibi sie mit liebevollen, beruhigenden Händen getröstet hatte.
Spät am Vormittag öffnete Bibi das Moskitonetz und legte Josie eine kühle Hand auf die Stirn. Josie streckte die Arme nach ihr aus, wie sie es jeden Morgen getan hatte, solange sie ein Kind war, und Bibi setzte sich zu ihr aufs Bett und umarmte sie ganz fest.
»So viel Blut!«, schauderte Josie.
»Schsch, nicht mehr daran denken.«
Bibi rollte das Moskitonetz hoch. »Ich bringe dir eine Tasse von Cleos gutem Kaffee, mit zwei Stückchen Zucker, wie du ihn gern magst. Monsieur Emile ist noch bei Dr. Benet. Ich mache dir das Haar, und wenn der Doktor geht, dann sorgst du dafür, dass dein Papa sich ausruht.«
Als Josie ins Speisezimmer kam, stand der Arzt auf und bot ihr einen Stuhl an. »Meine Liebe, möchten Sie eine Tasse Kaffee?«, fragte er.
»Ich hatte schon eine Tasse, Doktor, vielen Dank.« Sie sah ihren Vater an und wusste, Bibi hatte recht. Er hatte tiefe Schatten unter den Augen, hatte sich nicht rasiert, hatte offenbar überhaupt nicht geschlafen. Er musste sich dringend ausruhen.
»Ich komme morgen noch einmal vorbei, wegen der Beerdigung, Emile.« Dr. Benet nahm seinen Hut. »Es tut mir so leid, mein Freund. Es tut mir so entsetzlich leid, dass ich ihr nicht helfen konnte.«
Papa stand auf und schüttelte ihm die Hand. »Du hast getan, was du konntest, François, und ich danke dir.«
Dr. Benet folgte Bibi zum Vorderausgang. Papa blieb stehen, starrte mit leerem Blick auf den Esstisch. »Papa«, sagte Josie. Sie stand auf und nahm ihn am Arm. »Papa, komm, leg dich hin.«
Sie brachte ihn in sein Schlafzimmer. Er setzte sich auf die Bettkante, während sie ihm die Stiefel auszog und ihm dann half, sich hinzulegen. Sie öffnete seinen Kragen, zog das Moskitonetz herunter und schloss die Fensterläden.
Grand-mère wartete im Salon auf sie. »Schläft er jetzt?«
Josie nickte.
»Du hast einen guten Anfang gemacht, Josephine.« Grandmère hatte schon ihr schwarzes Leinenkleid angezogen. Ihr Haar war ordentlich frisiert, und ihr Gesicht zeigte nichts von der Müdigkeit und Trauer, die bei Papa zu sehen gewesen waren. »Du bist jetzt die Frau im Haus deines Vaters, Josephine. Du wirst neue Verpflichtungen übernehmen müssen, auch gesellschaftliche Verpflichtungen für die Familie Tassin. Und da es nun keinen männlichen Erben geben wird, musst du unbedingt lernen, wie diese Plantage zu führen ist. Im Moment jedoch – setz dich zu mir, Josephine – ist es vor allem unsere Aufgabe, die Beerdigung deiner Mutter vorzubereiten. Es werden an die fünfzig Personen hier sein, und wir müssen sie alle verköstigen; einige werden auch über Nacht bleiben, und wir müssen sie hier unterbringen. Es werden nicht nur Familienmitglieder kommen, manche von ihnen wirst du gar nicht kennen, und einige sind nicht einmal Kreolen.«
Josies Aufgabe war es, die Betten für sämtliche Übernachtungsgäste zu richten. Grand-mère übernahm es, die Spiegel zu verhängen und die Küche zu überwachen, das Geschirr, die zusätzlichen Dienstboten, die sie im Haus brauchen würden.
Während Josie Moskitonetze flickte, hängten Cleo und Bibi Bettwäsche auf, um sie zu lüften. Ellbogen-John baute mithilfe seines Neffen zusätzliche Bettgestelle auf, und Josie lernte, wie man die Ecken der Laken einfaltete, bevor man sie unter der Matratze feststeckte.
Josie arbeitete auf der Veranda und in allen Schlafzimmern, nur nicht im Zimmer ihrer Mutter. Sie vermied es, Ursuline, die Hebamme, zu treffen, die gemeinsam mit ihrer Gehilfin Marie Körbe und Schüsseln aus dem Schlafzimmer trug. Nur Grand-mère war für eine Weile bei ihnen, als sie das Bettzeug wechselten und die Tote wuschen.
Mittags brachte Bibi einen Krug mit kalter Limonade
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