Das Herz des Südens
freundlich, dass es fast leuchtete.
»Sie hätte dich nicht gebissen, verstehst du, es war nur eine Blindschleiche.«
Bibi lehnte sich an ihn und vergab ihm den neckenden Ton mit einem Lächeln. Josie wollte die beiden nicht länger zusammen sehen, vor allem nicht in dieser Situation, wo sie sich allein wähnten. Sie zog sich ins Zimmer zurück und sah Cleo an, die einen Strumpf stopfte.
»Was war los?«, fragte Cleo.
»Eine Schlange auf der Treppe«, berichtete Josie. »Bibi ist draufgetreten, aber Papa hat sie weggeschoben.«
Cleo lächelte. »Maman mag keine Schlangen.« Sie war ganz auf ihre Arbeit konzentriert.
Josie starrte auf Cleos gesenkten Kopf. Ihr Haar war lockig, während Bibis sich kräuselte. Cleo hatte auch hellere Haut als Bibi, und Bibi war schon heller als ihre Mutter Tulia. Wer wohl Bibis Vater gewesen war?
Sie hätte das alles schon viel früher bemerken müssen, dachte Josie. Jetzt begriff sie so viele Zusammenhänge. Warum ihr Vater Bibi und Cleo immer beschützt hatte, warum ihre Mutter so wütend darüber gewesen war.
Darum hat Papa Cleo mir geschenkt. Meine Schwester, meine Sklavin. Damit ich sie vor Maman beschütze.
Josie wurde rot vor Zorn und Scham. Dass Papa Maman so etwas antun konnte! Und ihr! Dass Josie, seine Tochter, ihren Vater mit einem Sklavenkind teilen musste!
Cleo blickte auf und sah ihren Blick. »Was ist?«
Josie drehte sich zum Fenster. »Nichts«, sagte sie. Cleo hatte Papa und Bibi gerade dort unten nicht gesehen. Cleo wusste nicht, was Josie wusste. Oder wusste sie es doch? Die Leute in den Unterkünften redeten doch sicher darüber. Vielleicht hatte Cleo es immer schon gewusst. Vielleicht war Josie ja die Einzige, die es nicht begriffen hatte. Sie starrte in den grauen Himmel, an dem sich neue Wolken zusammenballten.
Die Menschen am Fluss begannen, den Himmel zu beobachten. Grand-mère und Mr Gale machten sich Sorgen um die Ernte, Papa ärgerte sich über entgangene Jagdfreuden, und Josie trauerte um ihre Mutter und versuchte zu verstehen, was ihr Vater getan hatte. Manchmal beobachtete sie ihn, wenn er auf der Veranda eine Pfeife rauchte oder sich abends noch einen Brandy einschenkte. Wer war dieser Mann? Sie konnte sein Tun nicht gutheißen oder entschuldigen, und sie hatte das Gefühl, der Papa, den sie immer so sehr geliebt hatte, war über Nacht ein Fremder geworden.
Am späten Vormittag hörte der Regen für einen Augenblick auf, und Josie ging den Weg hinauf zu dem kleinen Familienfriedhof. Nur das Geräusch des Flusses war durch die Bäume zu hören. Was für ein einsamer Platz, an dem Maman jetzt lag, dachte sie.
Der Sturm hatte dem Friedhof schwer zugesetzt, und die Familiengruft stand wie eine Insel in einer großen Wasserpfütze. An den weiß gekalkten Wänden war der Schlamm hochgespritzt, und herabgefallene Zweige und Blätter bedeckten den schmutzigen Boden.
So konnte Mamans letzte Ruhestätte nicht bleiben! Josie konnte Ellbogen-John nicht finden, und die meisten Sklaven waren unterwegs, um Entwässerungsgräben auf den Feldern zu ziehen. Cleo – sie wusste nicht, wo Cleo war, aber Maman würde Cleo ohnehin nicht an ihrem Grab haben wollen. Sie würde es allein in Ordnung bringen müssen.
Zurück im Haus, rollte Josie ihre Strümpfe herunter und suchte hinten im Schrank nach ihren ältesten Schuhen. Sie nahm ein Bündel Lumpen mit, eine Kelle, die im Wagenschuppen unter den Gartengeräten lag, und dann trottete sie den Hügel hinauf zurück zum Friedhof.
Für einen Augenblick setzte sie sich auf die kleine Steinbank und versuchte, die Gegenwart ihrer Mutter zu erspüren. Sie wollte Maman sagen, wie leid es ihr tat, dass sie nie begriffen hatte, wie sehr sie gelitten hatte. Wie sehr sie all die Jahre gedemütigt worden war, mit Bibi unter ihrem eigenen Dach zusammenleben zu müssen. Wie schrecklich! Kein Wunder, dass Maman manchmal grausam gewesen war. Josie schloss die Augen. Sie versuchte sich zu erinnern, ob ihre Mutter jemals gelächelt hatte, ob sie jemals glücklich gewesen war, aber ihr fiel nichts ein. Das stärkste Bild in ihrer Erinnerung war ihre Mutter, die dem Tod entgegenstarrte und sich davor fürchtete, mit dieser Bitterkeit im Herzen vor Gott treten zu müssen.
Josie wischte sich über die Augen. Sie bekreuzigte sich und betete zur Muttergottes, dass ihre Mutter Frieden finden möge. Dann stand sie auf und sah den kleinen See rund um das Grab an, bevor sie hineinwatete. Das Wasser schwappte ihr in die alten Schuhe, und
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