Das Herz des Südens
fertig, Madame«, hatte Bibi gesagt.
Maman hatte nur eine Bewegung mit der Stopfnadel gemacht. »Auf den Tisch, du kannst Monsieur Emile zuerst einschenken.«
Papa hatte die Zeitung zur Seite gelegt, um seinen Tee zu nehmen. Josie beobachtete ihn, und sie beobachtete auch Bibi. Sie wusste nicht, wonach sie suchte, aber sie spürte die Veränderung der Atmosphäre, wenn Bibi, Papa und Maman sich zusammen in einem Zimmer aufhielten.
Maman wandte ihren Blick nicht von Papa ab, der seine Augen starr auf seine Teetasse gerichtet hielt, als er sich bedankte. »Merci, Bibi.«
Bibi schenkte Tee in eine zweite der zarten Tassen ein und drehte sich um, um sie Maman zu reichen, aber genau in diesem Augenblick stand Maman aus ihrem Sessel auf und schlug ihr die Tasse mit dem Ellbogen aus der Hand. Der Tee spritzte auf Mamans Seidenkleid, und das hellblaue Porzellan zerbrach auf dem Holzboden.
»Was bist du neuerdings ungeschickt!« Schnell wie eine Schlange, schlug Maman Bibi ins Gesicht. Bibis Kopftuch flog weg, und Josie sah peinlich berührt, dass sie mit bloßem Kopf vor Maman und Papa stand, das krause Haar in alle Richtungen abstehend.
»Aber Celine«, sagte Papa begütigend. »Das war doch ein Versehen.«
Maman presste die Lippen so sehr aufeinander, dass sie fast weiß waren, als sie Papa ins Gesicht sah.
»Ergreif nicht auch noch ihre Partei, ja? Wage es nicht, ihre Partei zu ergreifen.«
»Ich sage doch nur …«
Papa warf einen kurzen Blick auf Bibi, die sich den Bauch hielt und sich bückte, um ihr Kopftuch aufzuheben.
»Es war ein Versehen«, wiederholte Papa.
Maman drehte sich von ihm weg, griff Bibi ins Haar und zog sie hoch. Josie begann zu weinen. Cleo zitterte, den Blick fest auf ihre Mutter gerichtet, als Maman Bibi immer wieder schlug, immer wieder, eine weiße Hand auf dem braunen Gesicht.
Papa eilte herbei und nahm Cleo in die Arme. Cleo als Erste, daran erinnerte sich Josie genau. Dann nahm er Josie bei der Hand und ging mit den beiden Mädchen in sein Zimmer, weg von dem Geräusch der Schläge und der Schreie – denn Maman schrie bei jedem Schlag immer wieder: »Schlampe, Schlampe, Schlampe!«
Im Zimmer angekommen, nahm er Josie und Cleo auf den Schoß und sang leise, um die Geräusche aus dem Salon zu übertönen. Josie konnte den Duft seines Rasierwassers wahrnehmen, den Tabak und die Haarpomade, und hielt Papas große Hand mit ihren beiden kleinen Händen fest.
Sie hörten, wie Bibi den Salon verließ, die schweren, unsicheren Schritte. Und dann hörten sie Maman schluchzen.
»Maman weint«, sagte Josie.
Papa schüttelte den Kopf und sang ein wenig lauter.
Josie sah Cleo an, die auf Papas anderem Knie saß, gegen seine Brust gelehnt, den Daumen im Mund. Papa hatte im letzten Sommer immer wieder Chilisalbe auf Josies Daumen gestrichen. Und Cleo, die doch genauso groß war wie Josie, durfte immer noch am Daumen lutschen. Josie streckte die Hand aus und zog ihr den Daumen aus dem Mund.
Cleo blickte sie wütend an und steckte den Daumen wieder in den Mund. Dabei schmiegte sie sich noch fester an Papa.
»Das ist mein Vater«, sagte Josie und zerrte an Cleo, um sie von Papas Knie herunterzuziehen.
»Josie«, mahnte Papa.
Josie schubste Cleo und griff nach ihrem Kopftuch.
»Josie, ich will nicht, dass du dich so benimmst. Du wirst so etwas nicht tun, du nicht!« Ihr Vater stand auf und schob Josie ein Stück weg. »Setz dich auf den Boden«, sagte er.
Dann setzte er sich in den Schaukelstuhl und zog Cleo wieder auf seinen Schoß.
Cleo steckte den Daumen in den Mund, und sie lehnte ihren Kopf an Papas Brust. Josie verkroch sich auf dem kalten Boden in sich selbst und schluchzte. Der Regen plätscherte gegen das Fenster, und Papa zündete seine Pfeife an.
In dieser Nacht, in der Nacht nach der Beerdigung ihrer Mutter, während die Blitze durch die Wolken zuckten, begriff Josie. Maman hatte Bibi und Cleo gehasst, weil Papa die beiden liebte. Und das Baby, das Bibi damals bekommen sollte … das war Thibault, und er war Papas Sohn.
Josie vergrub ihr Gesicht in beiden Händen. Vor lauter Scham wurden ihr die Knie weich, und sie sackte auf dem Boden zusammen, wie sie es damals, vor so vielen Jahren, zu Füßen ihres Vaters getan hatte.
6
Später in der Nacht schlug ein Blitz in die alte Eiche im Hof ein. Josie spürte den Schlag, bevor sie ihn hörte. Sie kämpfte sich aus dem Moskitonetz und eilte ans Fenster. Cleo, die in der anderen Zimmerecke auf einer Pritsche schlief, kam gleich
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