Das Herz des Südens
schroff gewesen, dabei hatte sie doch gar nicht die Absicht gehabt, unhöflich zu sein.
»Phanor?« Er blieb stehen und warf einen Blick zurück. »Vielen Dank«, sagte sie.
Mit einem Lächeln auf den Lippen verschwand er zwischen den Bäumen.
Josie watete durch den Schlamm zum Haus und fragte sich immer noch, ob es in Ordnung war, sich mit Phanor anzufreunden. Er war ein Cajun, und er war arm und … ob er überhaupt lesen konnte? Sie hatte keine Ahnung. Man stelle sich vor, wie das sein würde, nicht lesen zu können. Aber er war so nett zu ihr gewesen und hatte ihr bei Mamans Grab geholfen. Und er war nicht einfach nur gut aussehend, er war klug und stark. Sie mochte ihn, und sie wollte nicht so ein Snob sein wie ihre Großmutter.
Auf dem Weg zurück zum Haus machte sie im Wagen-schuppen Halt, um die Kelle zurückzulegen. Es war dämmrig hier drinnen, und sie kniff die Augen zusammen, um den Haken zu finden, an den die Kelle gehörte. In einem der Wagen war ein Rascheln zu hören, und sie dachte gerade, dass sie ihrer Großmutter Bescheid sagen musste, die Eichhörnchen seien wieder mal in den Schuppen eingedrungen. In diesem Moment wurde aus dem Rascheln ein Kichern.
Wer war denn da im Wagenschuppen? Vielleicht hatten sich ein paar von Ellbogen-Johns jüngeren Enkelkindern hereingeschlichen, um Verstecken zu spielen. Vermutlich waren es wieder Laurie und ihre Cousinen. Laurie wurde von allen verwöhnt, weil sie so niedlich war.
Josie ging zu dem Wagen, um zu sehen, was Laurie wieder ausgeheckt hatte. Vermutlich machte sie eine Ausfahrt mit ihren Puppen.
Aber es war nicht Laurie. Es war Cleo – mit einem anderen jungen Sklaven. Und Josie war sicher, dass sie nach Mamans Parfüm duftete. Grand-mère hätte Cleo geschlagen, wenn sie sie hier gefunden hätte. Josie hatte Cleo noch nie vor ihrer Großmutter beschützen müssen, und sie war sicher, das war schwieriger als mit Maman.
Cleo lachte ein wenig gezwungen. »Erwischt!«, sagte sie.
Josie sah sich den Jungen genauer an, der so nah bei Cleo saß. Ein hübscher Junge mit hohen Wangenknochen und einem schlanken Hals. Und mutig. Er ließ Cleo nicht los, als Josie ihre verschränkten Hände bemerkte.
»Wer ist das?«, fragte Josie.
»Das da ist Remy; er ist ein Enkel von Ellbogen-John.«
Josie sah Cleo lange Zeit an. Ihre Schwester. Papas Liebling. Was würde Papa denken, wenn er erfuhr, dass Cleo hier mit einem seiner Feldarbeiter saß? Cleo hatte keine Erlaubnis, sich einen Mann zu suchen, und hier hatte sie mit Sicherheit keine Begleitung.
Diese Situation unterschied sich nicht wirklich von der, in der Josie sich noch vor ein paar Minuten befunden hatte. Ob Cleo sich genauso einsam fühlte wie sie?
»Geh«, sagte Josie.
»Was meinst du, Mamsell?«
»Ich muss allein mit dem Sklaven reden …« Josie verstummte.
Cleo sah sie wütend an. Sie kletterte aus dem Wagen, schob sich an Josie vorbei und rannte hinaus.
Remy und Josie starrten sich an.
Jetzt erinnerte sie sich an ihn, er hatte früher mit ihnen bei Grammy Tulia gespielt. Wenn sie Fangen gespielt hatten, war er immer der Schnellste gewesen, und einmal hatte er ihr geholfen, die Kletten aus ihren Strümpfen zu ziehen. Jetzt hatte er breite Schultern und lange Beine; er war ein Mann geworden.
»Ich kenne dich«, sagte sie.
Remy saß wie erstarrt auf dem Wagensitz. Josie hatte ihm ein wenig Sicherheit geben wollen, aber sie sah die Angst in seinen Augen aufflackern. Kein Zweifel, er fürchtete sich vor der Peitsche auf seinem Rücken.
Josie war nie Zeugin einer Auspeitschung gewesen, sie hatte nie zugehört, wenn einer der Sklaven in Todesangst schrie. Aber sie hatte die Narben gesehen, die die Peitsche hinterließ. So etwas würde sie niemals zulassen. Wenn sie einmal Herrin von Toulouse sein würde, würde es keine Auspeitschungen mehr geben.
»Ist schon in Ordnung«, sagte sie. Sie streckte die Hand aus und berührte leicht seine Wange. Dann ließ sie ihn in dem Schuppen zurück.
7
Cleo rannte über den nassen Boden zurück zum Hof, die Kiefer verspannt, weil sie das Weinen unterdrücken musste. Nur weil Josie keinen Liebsten hatte, dachte sie, hieß das noch lange nicht, dass sie allein bleiben musste. Und wenn Josie auf sie und Remy eifersüchtig war, dann bitte.
Aber sie hätte Remy nicht mit Josie in dem Schuppen zurücklassen dürfen. Vielleicht sollte sie zurückgehen. Vielleicht sollte sie sagen … dass Remy nett war, dass Mademoiselle Josephine nicht gemein zu ihm sein
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