Das Herz des Werwolfs (German Edition)
ihr erzählte, dass die Halbdrachen nichts waren im Vergleich mit den wahren Drachen aus den Legenden von Elden, wie der hinterhältige Feiynd, mit Schuppen wie schwarze Perlen und den Instinkten eines Auftragsmörders. Oder dass die Wolfyn und die Einhörner Verbündete waren, deren Friedensvertrag auf gegenseitiger Abneigung bestand. Und dass er, der Pferde seit seiner Kindheit liebte, versucht hatte, die Sprache der Einhörner zu lernen, nur um herauszufinden, dass zwar die Zungen der Wolfyn siesprechen konnten, menschliche aber nicht.
Es hatte herzzerreißend schöne Augenblicke gegeben, zum Beispiel den Anblick von einem Rudel Wolfyn, das sich auf einem weit entfernten Hügel sammelte. Der Umriss der Wölfe zeichnete sich gegen den bleichen Vollmond ab, während ihr Heulen Reda eine Gänsehaut bereitete. Oder als Dayn und sie den zerklüfteten Bergkamm überschritten, der die Territorien zweier Rudel begrenzte – die Nasenkraller und die Schwanzbeißer, denen sie aus dem Weg gegangen waren, indem sie sich immer in der Nähe von möglichen Verstecken hielten. Hinter dem Bergkamm breitete sich eine grasbewachsene Ebene vor ihnen aus, in deren Mitte sich ein kreisrunder See befand, der den blassen Himmel und eine runde Wolke widerspiegelte.
Und dann war da Dayn. Er war in all diesen Erinnerungen und in noch so vielen mehr aus diesen kostbaren zwei Tagen. Er war ihr Förster, ihr Prinz, ihr Liebhaber. In dieser kurzen, kostbaren, selbstlosen Zeit hatte sie ihn intim kennengelernt. Sie wusste, wie er sich bewegte, wie er schmeckte, was ihn zum Seufzen brachte und wie weit sie ihn necken konnte, bis er die Kontrolle verlor und seine Zähne zeigte. Wortwörtlich.
Sein Vampir-Erbe machte ihr keine Angst mehr. Er war ein Mann wie jeder andere, nur mit zusätzlichen Kräften ausgestattet, die seine Welt und seine Herkunft ihm verliehen. Er konnte manchmal stur sein, und aus irgendeinem Grund kaute er sehr gern das Mark der Wolfschlaf-Pflanze, das sie selbst geschmacklos fand, mit einer merkwürdigen Konsistenz. Aber das waren unbedeutende kleine Macken, wenn man das Gesamtbild betrachtete.
Sie hatten das Wolfsbene nicht noch einmal benutzt,stattdessen waren sie aus eigener Kraft gewandert, nur manchmal hatten sie einen Schluck von dem stimulierenden Trank genommen, der Kaffee dieser Welt, oder vielleicht eher ein Energy Drink. Sie waren stetig vorangekommen und hatten sich leise unterhalten oder einvernehmlich geschwiegen. Alle sechs bis acht Stunden hatten sie Rast gemacht … und sich geliebt. Manchmal musste Reda sich kneifen, um sich zu versichern, dass sie nicht doch träumte.
Doch wie ein Traum konnte auch die Reise nicht ewig andauern, und sie näherten sich dem Ende.
„Bist du so weit?“ Dayn trat aus einer Baumgruppe, die fast bis zum Straßenrand hinaufwuchs. Er trug jetzt nur noch einen Rucksack, dazu seine Armbrust und die Kurzschwerter. Den anderen Rucksack trug Reda, außerdem Pfeil und Bogen, die sie wahrscheinlich nie benutzen würde. Es war heute wärmer, darum hatte er sich bis aufs Hemd ausgezogen und Jacke und Pullover verstaut.
Ihn in seinem karierten Hemd zu sehen, den Hosen und Stiefeln – ganz wie die Holzschnitte, die sie zu ihm gebracht hatten –, ließ ihr Herz schneller schlagen und schnürte ihr fast die Kehle zu. Wenn ich doch nur … dachte sie, aber sie machte sich nicht einmal die Mühe, den Wunsch zu Ende zu denken.
„Los geht’s“, sagte sie und stand auf. Nach seiner Einschätzung würden sie den Bogen in ein oder zwei Stunden erreicht haben, weit vor Sonnenuntergang. Sie hatten nicht wirklich darüber geredet, was sie tun würden, wenn sie erst einmal dort waren, aber sie hoffte insgeheim, dass sie sich noch ein letztes Mal lieben würden, vielleicht direkt neben dem Wasserfall.
Davon hätte sie gern eine Erinnerung, die sie immer wieder aufleben lassen konnte, wenn sie sich die letzte Seite ihres Buches ansah. Die Erinnerung an die Zärtlichkeiten, nicht an den Verlust danach. Sie hatte die Freude gehabt, also würde sie auch den Schmerz akzeptieren, der am Ende dieses seltsamen magischen Abenteuers auf sie wartete.
Trotzdem zog sich ihr die Kehle zusammen, als sie Dayn auf dem Pfad einholte. Sie legte die Handflächen auf seine Brust und ging auf die Zehenspitzen, um seinen Hals zu küssen, an der Seite, wo die Halsschlagader verlief. Sie war seltsam stolz darauf, ihm dort einen Knutschfleck verpasst zu haben. Er legte seine Hand auf ihre und drückte sie. Als Reda
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