Das Herz des Werwolfs (German Edition)
sich von ihm lösen wollte, hielt er sie fest und drückte ihre Hand noch einen Augenblick länger an sein Herz, ehe er sie losließ.
Sie gingen gemeinsam die Straße hinab, Schulter an Schulter, und die Stille wurde nur von den Rufen der verschiedenen Tiere unterbrochen. Inzwischen kannte sie die Stimmen: das tiefe Brüllen des Halbdrachen, den hohen Fanfarenruf des Trompetentiers und das täuschend liebliche Trillern des Schlammbuckels, der wirklich widerlich aussah und stank.
Einerseits fand sie den Gedanken schrecklich, die Magie zurückzulassen, fand sogar den Gedanken schrecklich, diese seltsame Welt der Wolfyn zu verlassen. Doch andererseits sehnte sie sich nach der Sicherheit ihrer Wohnung, einer Welt, in der sie wusste, wie alles funktionierte, und in der sie sich nicht ständig umsehen und nicht ständig mutig sein musste.
Etwa eine Stunde nachdem sie zum letzten Abschnitt ihrer Reise aufgebrochen waren, schritten sie die lange Steigungeines Hügels hinauf. Dayn spuckte sein letztes Stück Wolfschlaf-Kaugummi in die Büsche, spülte seinen Mund mit einigen Schlucken aus dem Wasserschlauch aus, den sie gerade am Morgen nachgefüllt hatten, und bot ihn ihr wortlos an.
„Nein, danke, ich brauche nichts.“ Ihre Stimme klang heiser, ihre Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an.
Er steckte den Schlauch zurück in seinen Rucksack und rückte den Riemen noch einmal zurecht. Dann nestelte er an seinem Schwertgürtel und wand sich in seinem Hemd.
Sie sah ihn an und hob eine Augenbraue. „Alles okay?“
„Ja.“ Seine Stimme klang ebenfalls belegt. „Es ist nur … Wir können den Bogen vom Gipfel dieses Hügels aus sehen.“ Er sah ihr nicht in die Augen, als er es sagte.
„Oh.“ Oh Gott. Ihre neu erwachte Libido regte sich bei dem Gedanken, sich am Rand des Wasserfalls zu lieben, aber dieses angenehme Flattern verging ihr bald wieder beim Gedanken an das, was folgte. Sie merkte, dass sie ihre Schritte unbewusst verlangsamt hatte, und zwang sich, schneller zu gehen. Immer einen Fuß vor den anderen . „Dann haben wir es also geschafft.“
Er legte seinen Rucksack ab, zog seine Jacke heraus und zog sie sich an, nur um sie sich Sekunden später mit einem frustrierten Laut wieder vom Leib zu reißen. „Ich hasse das. Ich hasse …“ Er verstummte und starrte auf seine Hände. „Oh, bei allen Göttern. Das kommt nicht von mir. Das ist die Magie. Der Vortex fängt bereits an.“
„Nein.“ Sie wirbelte zum Gipfel des Hügels herum, konnte aber am Himmel und an den Bäumen nichts Seltsames erkennen, was verraten hätte, dass dahinter Magie wirkte. Es gab kein Glühen, kein Geräusch. Sie konntenicht einmal den Wasserfall hören.
Doch Dayn kannte sich mit Magie aus. Er war Magie.
„Komm!“ Er drückte ihr ein Stück Wolfsbene in die Hand und schluckte sein eigenes herunter. „Wir laufen den Rest!“
Sie schluckte den rauen Klumpen, zwang ihn an dem Kloß in ihrer Kehle vorbei und unterdrückte den Drang zu schreien, dass es nicht fair war. Sie brauchte noch mehr Zeit mit ihm. Nur noch eine Stunde, mehr nicht. Auch wenn sie tief in ihrem Herzen wusste, dass es nicht genug gewesen wäre und dass es so vielleicht sogar besser war. Sie schluckte noch einmal und nickte. „Gehen wir.“
Sie rannten gemeinsam den restlichen Abhang hinauf, und als das Mittel zu wirken begann, wurden ihre Schritte immer länger. Energie raste durch ihre Adern, erleuchtete sie, bis sie sich mächtig fühlte, unbesiegbar … und noch heißer auf Dayns Körper, als sie es davor schon gewesen war. Sie wollte ihn zu Fall bringen und sich auf ihn werfen, seinen Körper mit ihrem bedecken und ihn reiten, bis sie beide ausgelaugt waren. Sie wollte ihn küssen, ihn anfassen, ihn besitzen, ihm gehören.
Stattdessen konzentrierte sie sich darauf, den Hügel hinaufzurennen, immer einen Fuß vor den anderen. Zuerst hörte sie das Rauschen des Wasserfalls, dann erstreckte sich das Tal vor ihnen. Sie kam stolpernd zum Stehen, und da sah sie ihn: den Bogen von Meriden.
Dayn blieb neben ihr stehen, so nah, dass ihre Arme sich berührten.
Selbst aus einer halben Meile Entfernung konnte sie erkennen, dass es genau wie auf dem Holzschnitt aussah: ein hoher Felsbogen über einem Wasserfall, der eine zerklüfteteKlippe hinabrauschte, sich in einem Becken sammelte und von dort aus als Fluss ins Tal brauste. Dichtes Grün wuchs an den Rändern des Wasserfalls und auf der Steinwand der Klippe und streckte sich darunter zu einem grünen Tal
Weitere Kostenlose Bücher