Das Herz des Werwolfs (German Edition)
tödlichen Monsters hören konnte, das halb Raubtier war und halb Mörder.
Als ihr klar wurde, dass die Stimme auf irgendetwas zu warten schien, sagte sie leise: „Bitte, lass es vorbei sein. Das ist nicht meine Arbeit. Es ist nicht meine Schlacht.“
Bist du dir da so sicher?
Ihre Gedanken füllten sich plötzlich mit schrecklichen Bilden: von Steinmauern, die von Dutzenden von Ettinen mit Keulen zerstört wurden, von Wachen in Rüstungen, die von riesigen Skorpionen mit rasiermesserbesetzten Schwänzen und Klauen in Stücke gehackt wurden, von einer Frau, die ein Baby im Arm trug und mit ihm über einen Steinboden rannte, nur um von einer riesigen Spinne hochgehoben zu werden.
Du bist eine Wächterin des Blutes. Würdest du so etwas zulassen?
„Welches Blut? Wer spricht da?“ Als keine Antwort kam, wurde ihr Tonfall schärfer. „Was in Gottes Namen willst du eigentlich von mir? Ich habe ihn zum Bogen gebracht.“Sie versuchte, sich umzudrehen, aber es gelang ihr nicht. Die Mischung aus Angst und Frustration ließ ihr Herz heftig hämmern. „Beantworte meine Frage, verdammt! Was soll ich deiner Meinung nach tun?“
Hilf ihm, die Burg vor morgen Nacht zu erreichen. Und hilf ihm, sich an sein wahres Selbst zu erinnern, sonst ist alles verloren.
Ihr Magen zog sich bei dem Gedanken daran, Dayn nach Elden zu folgen, vor Furcht und Verzweiflung zusammen. „Und was dann?“
Kehr heim.
Vor ihrem inneren Auge erschien das Bild eines sanften Hügels, ganz ähnlich dem, der sich in der Nähe von Dayns Hütte befand, nur ohne die Steine. Die Turmspitzen einer Burg waren in der Ferne hinter den Bäumen sichtbar, und an einer Seite stand ein kleiner Schrein. Und sie sollte der Teufel holen, wenn darauf nicht eine vereinfachte Version des Titelbilds von „Rutakoppchen“ geschnitzt war: ein Mädchen, das durch die Wälder strauchelte, während zwei Augen sie aus der Dunkelheit beobachteten.
„Habe ich eine Wahl?“ Ihre Stimme zitterte erbärmlich, aber es war ihr egal. Die Wirkung des Wolfsbene ließ nach, sie fühlte sich geschlagen, ihr Herz war gebrochen, und sie wollte nicht mehr.
Es gibt immer eine Wahl, auch wenn es nicht so scheint.
„Toll. Eine blöde Kalenderweisheit.“
Dann hielt sie inne, hörte ihre eigenen Worte im Nebel hallen, und ihr wurde bewusst, dass sie mit einer Geisterstimme stritt, von der sie annahm, dass sie Dayns Vater, dem König der Vampire, gehörte, oder was von ihm übrig war. Mehr noch, sie dachte nach, plante, reagierte, hatteeine Meinung. Sie war nicht starr vor Angst, verließ sich nicht blind auf Dayns beruhigende Gegenwart, wie sie es in den letzten Tagen viel zu oft getan hatte, wenn es ernst zu werden drohte.
Sie erstarrte nicht. Sie kam damit zurecht . Neue Kraft durchströmte sie, als ihr das klar wurde, und mit ihr eine Art wilder Freude.
Du bist stärker, als du denkst, Alfreda.
Ein Schauer durchfuhr sie. „Woher kennst du meinen richtigen Namen?“
Wirst du ihm helfen?
Vor einigen Tagen wäre es ihr noch haarsträubend lächerlich vorgekommen, einem Mann wie Dayn helfen zu wollen. Selbst vor ein paar Stunden, blind durch den Bann, den Dayn über sie gelegt hatte, hätte sie nicht geglaubt, dass er bei irgendetwas ihre Hilfe brauchen konnte, außer dabei, sich gegenseitig Freude zu bereiten. Jetzt allerdings sah sie die Dinge viel klarer. Anscheinend hatte Schock bei ihr diese Wirkung – entweder betäubte er sie oder weckte sie auf. Und jetzt war sie wach.
Jetzt sah sie die Dinge klarer und erkannte, dass Dayn nicht so reif und souverän war, wie er es gerne hätte. Er hatte zwei Jahrzehnte mit Selbstvorwürfen zugebracht, weil ihn an jenem Morgen, als der Blutmagier angegriffen hatte, eine Frau abgelenkt hatte, als er sich auf seine Pflichten hätte konzentrieren sollen. Und dann war er mit ihr prompt wieder in die gleichen Muster verfallen. Ihre … Beziehung? Affäre? Sie wusste nicht, wie sie es nennen sollte, hatte ihm als Ablenkung gedient, damit er sich nicht auf die komplizierteren Dinge einlassen musste. Sie glaubte auch nicht, dass er sie hintergangen hatte … eherhatte er sich selbst belogen.
Auch sich selbst sah sie plötzlich in anderem Licht. Hier, in diesem Nebel aus Regenbögen, sah sie plötzlich eine Frau, die zu oft darauf wartete, dass andere Leute sich um alles kümmerten. Zugegeben, die Ursache dafür lag in ihrer Kindheit, als ihr Vater und die Therapeuten – gut gemeint oder nicht – ihre Vorstellungskraft und Entschlossenheit
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