Das Herz Des Winters
konnte, der es gewagt hatte, Toveine Gazal mit seinem verfluchten Saidin-Ge webe zu versklaven. Schade, dass er ihr nicht befohlen hatte, nicht mehr zu denken! Sie konnte seine Aura tief in ihrem Inneren spüren. Er war immer da.
Einen Augenblick lang kniff sie die Augen fest zusammen. Licht! Der Bauernhof von Herrin Doweel war wie ein Höllenpfuhl erschienen, Buße und jahrelanges Exil, aus dem es keinen Ausweg gab, es sei denn, man zog das Undenkbare in Betracht und wurde eine gejagte Renegatin. Ihre Gefangenschaft dauerte kaum länger als eine halbe Woche und schon kannte sie die Wahrheit. Das hier war der richtige Höllenpfuhl. Und hier gab es keine Fluchtmöglichkeit. Wütend schüttelte sie den Kopf und wischte sich energisch schimmernde Feuchtigkeit von den Wangen. Nein! Sie würde flüchten, irgendwie, selbst wenn es nur lange genug währte, um ihre Hände in der Realität um Elaidas Hals zu legen. Irgendwie.
Abgesehen von der Pritsche gab es nur drei weitere Möbelstücke, trotzdem hatte sie kaum genug Platz, um sich zu bewegen. Sie zerstieß mit dem Gürtelmesser das Eis auf der Oberfläche des Wassers in der gelb gestreiften Kanne auf dem Waschtisch, füllte die angeschlagene weiße Schüssel und griff nach der Macht, um das Wasser zu erhitzen, bis Dampfwolken in die Höhe stiegen. Dazu war es erlaubt, die Macht zu benutzen. Aber auch nur dazu. Mechanisch wusch sie sich, putzte sich mit Salz und Soda die Zähne, dann holte sie aus der kleinen Holztruhe am Fußende der Pritsche ein frisches Unterhemd und Strümpfe. Ihren Ring ließ sie in der Truhe zurück; er befand sich ganz unten in einem kleinen Samtbeutel. Ein weiterer Befehl. Hier war ihr ganzer verbliebener Besitz verstaut, mit Ausnahme ihres Schreibkastens. Glücklicherweise war er bei ihrer Gefangennahme verloren gegangen. Ihre Kleider hingen an einem Umhangständer, das letzte Möbelstück des Verschlags. Sie wählte eines aus, ohne richtig hinzusehen, zog es an und kämmte sich das Haar.
Als sie sich in dem billigen Spiegel auf dem Waschtisch sah, geriet die Bürste mit dem Elfenbeinrücken ins Stocken. Mit abgehackten Atemzügen legte sie die Bürste neben den dazugehörigen Kamm. Das ausgewählte Kleid war dick, es bestand aus fein gewebter Wolle von einem Rot, das so dunkel war, dass es beinahe Schwarz erschien. So schwarz wie der Mantel eines Asha'man. Ihr verschwommenes Bild starrte mit verzerrten Lippen zurück. Sich umzuziehen wäre eine Art von Niederlage. Entschlossen riss sie ihren mit Marderfell besetzten grauen Umhang vom Ständer.
Als sie das Segeltuch zur Seite schlug, befanden sich bereits etwa zwanzig Schwestern in dem langen, von Segeltuchverschlägen gesäumten Mittelgang. Hier und da unterhielten sich welche mit gesenkten Stimmen, aber der Rest blickte einander nicht an, selbst wenn sie derselben Ajah angehörten. Da war Angst zu sehen, aber es war Scham, die viele Gesichter hatte erstarren lassen. Akoure, eine stämmige Graue, starrte die Hand an, wo sie gewöhnlich den Ring trug. Desandre, eine schmale Gelbe, verbarg die rechte Hand unter der Achsel.
Die leisen Unterhaltungen verstummten, als Toveine hervortrat. Einige der Frauen starrten sie mit offener Feindseligkeit an. Darunter auch Jenare und Lemai, die ihrer eigenen Ajah angehörten! Desandre drehte sich brüsk um und wandte ihr den Rücken zu. Im Zeitraum von zwei Tagen waren einundfünfzig Aes Sedai den schwarz gekleideten Ungeheuern in die Hände gefallen, und fünfzig davon gaben Toveine Gazal dafür die Schuld, so als wäre Elaida a'Roihan nicht an der Katastrophe beteiligt gewesen. Wäre Logain nicht eingeschritten, hätten sie bereits in der ersten Nacht ihre Rache vollzogen. Sie verspürte keine Dankbarkeit dafür, dass er dem ein Ende bereitet und Carniele dazu gebracht hatte, die von Gürteln verursachten Striemen und von Fäusten und Füßen hervorgerufenen Blutergüsse zu Heilen. Sie wäre lieber von ihnen zu Tode geprügelt worden, als in seiner Schuld zu stehen.
Sie rückte den Umhang auf ihren Schultern zurecht und schritt erhobenen Hauptes den Gang entlang, hinaus in die blasse Morgensonne, die zu ihrer düsteren Stimmung passte. Hinter ihr rief jemand giftige Worte, bevor die zufallende Tür sie abschnitt. Ihre Hände zitterten, als sie die Kapuze hochschlug und sich den dunklen Pelz ins Gesicht zog. Niemand stieß Toveine Gazal ungestraft herum. Das hatte auch Herrin Doweel, die sie im Laufe der Jahre zu scheinbarer Unterwürfigkeit gebrochen
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