Das Herz ihrer Tochter
Ansinnen,
sein Herz zu spenden, seit seiner Einlieferung ins Krankenhaus. Laut der
jüngsten Umfrage unseres Senders sind nur vierunddreißig Prozent der Menschen
in New Hampshire noch der Meinung, dass Bourne als Organspender zugelassen
werden sollte, und noch weniger - sechzehn Prozent - halten seine Wunder für
göttlich inspiriert. Somit steht eine überwältigende Mehrheit von
vierundachtzig Prozent auf der Seite von Reverend Arbogath Justus, der heute
wieder bei uns ist. Reverend, Sie und die Mitglieder Ihrer Kirche sind jetzt
seit fast einer Woche vor Ort und haben entscheidend zu dem öffentlichen
Meinungsumschwung beigetragen. Was sagen Sie zu dem Krankenhausaufenthalt von
Bourne?«
Reverend Justus trug noch immer den
grünen Anzug. »Neunundneunzig Prozent der Menschen in New Hampshire finden,
Sie sollten das Outfit da verbrennen«, sagte ich laut.
»Janice«, erwiderte der Reverend, »wir
von der Drive-in-Kirche Christi in Gott beten selbstverständlich für Shay
Bournes rasche und vollständige Genesung von den Verletzungen durch die Attacke
im Gefängnis. Dennoch, wenn wir beten, dann beten wir zu dem einen und einzigen
Herrn: Jesus Christus.«
»Möchten Sie vielleicht ein paar Worte an
diejenigen richten, die Ihnen noch immer nicht beipflichten wollen?«
»Ja, gern.« Er beugte sich näher zur
Kamera. »Ich hab's euch doch gesagt.«
Die Reporterin ergriff erneut das Wort.
»Wie wir hören, wird Bourne in den nächsten Stunden aus dem Krankenhaus entlassen,
obwohl sein Zustand nach Einschätzung der Arzt...« Plötzlich erhob sich auf
beiden Seiten der Menge tosendes Gebrüll, und die Reporterin hielt mit einer
Hand ihren Ohrhörer fest. »Uns liegt zwar noch keine offizielle Bestätigung
vor«, sagte sie über den Lärm hinweg, »aber offenbar ist soeben ein Krankenwagen
durch den Seiteneingang auf das Gelände der Strafanstalt gefahren...«
Auf dem Bildschirm schwenkte die Kamera
an ihr vorbei auf einen Mann, der eine Frau in einem lila Kaftan niederschlug.
Als die Gardisten einschritten, brachen bereits an anderen Stellen Schlägereien
aus. Die Trennlinie zwischen beiden Lagern verwischte sich, und die Gardisten
forderten Verstärkung an. Die Kameras filmten, wie ein Jugendlicher
niedergetrampelt wurde, ein Mann zusammenbrach, nachdem ihn ein Gardist mit dem
Kolben seines Gewehrs am Kopf getroffen hatte.
»Licht aus«, sagte ein Aufseher über die
Lautsprecher. Licht aus bedeutete nicht, dass es stockdunkel war - irgendwo
brannte immer noch eine einsame Glühbirne. Aber ich nahm meinen Kopfhörer ab,
legte mich aufs Bett und lauschte dem Krawall draußen vor den Knastmauern.
Eigentlich, so wurde mir klar, läuft es
immer auf das Gleiche hinaus: Es gibt diejenigen, die glauben, und diejenigen,
die nicht glauben, und dazwischen sprechen die Gewehre.
Offenbar war ich nicht der Einzige, der
unruhig war. Batman fing an zu fiepen und ließ sich auch nicht durch Calloway
zum Schweigen bringen.
»Mann, sorg endlich dafür, dass der blöde
Vogel den Schnabel hält!«, brüllte Texas.
»Halt lieber selber die Fresse«, sagte
Calloway. »Dieser verdammte Bourne. War er doch bloß nicht hierher verlegt worden!«
Wie auf Stichwort öffnete sich die Tür zu
Block I, und im Halbdunkel wurde Shay von einer Schar Aufsehern zu seiner Zelle
eskortiert. Er hatte einen Verband im Gesicht und dunkle Blutergüsse um die
Augen. Vorn am Haaransatz war eine kahl geschorene Stelle. Er wandte an keiner
Zelle, an der er vorbeikam, den Kopf. »Hey«, murmelte ich, als er meine passierte,
aber Shay reagierte nicht. Er bewegte sich wie ein Zombi, wie jemand in einem
Science-Fiction-Film, nachdem ihm ein verrückter Wissenschaftler den
Stirnlappen entfernt hat.
Fünf der Aufseher gingen wieder. Der
sechste bezog vor Shays Zellentür Posten, wie ein persönlicher Bodyguard. Da
der Aufseher in Hörweite war, unternahm ich keinen Versuch, mit Shay zu
sprechen. Auch die anderen hielten wohl aus demselben Grund den Mund.
Ich schätze, seine Rückkehr hatte uns
alle derart beschäftigt, dass es ein Weilchen dauerte, bis wir merkten, dass
die Stille perfekt war. Batman war in Calloways Brusttasche eingeschlafen. Und
draußen war der Radau einer atemberaubenden, seligen Ruhe gewichen.
MAGGIE
Amerikas Gründerväter schrieben die
Religionsfreiheit, die Trennung von Kirche und Staat, in die Verfassung, aber
ich sage Ihnen, uns geht es nicht besser als den Puritanern in den 1770er- Jahren in England.
Religion und
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