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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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radikal, dass Aufseher Whitaker, aus lauter Verwirrung über
das, was er auf den Monitoren sah, dröhnend über die Lautsprecheranlage fragte:
»Was ist los? Ist eine Wasserleitung undicht?«
    »Könnte man so sagen«, erwiderte Crash.
»Man könnte auch sagen, wir haben mächtig Durst.«
    »Kommen Sie rein, Aufseher«, sagte Pogie.
»Wir spendieren eine Runde.«
    Alle fanden das zum Schreien komisch,
aber andererseits hatten sie inzwischen bestimmt alle schon ordentlich von
dieser Flüssigkeit getrunken, die da aus unseren Hähnen kam. Ich tauchte den
Finger in den kräftigen dunklen Strahl, der noch immer in mein Waschbecken
lief. Es hätte Eisen oder Mangan sein können, aber es stimmte - das Wasser roch
süßlich und trocknete klebrig. Ich schob den Mund unter den Hahn und trank ganz
vorsichtig.
    Adam und ich waren Weinliebhaber gewesen
und hatten ein paarmal zusammen die Weingüter in Kalifornien erkundet. Und zu
meinem Geburtstag in unserem letzten gemeinsamen Jahr hatte Adam mir eine
Flasche 2001er Dominus Estate Cabernet Sauvignon geschenkt, die wir Silvester
trinken wollten. Als ich einige Wochen später nach Hause kam und sie
überraschte, ineinander verschlungen wie Dschungelranken, lag die Flasche umgekippt
auf dem Nachttisch, unter ihr auf dem Teppich ein roter Fleck, wie Blut, das
bereits vergossen worden war.
    Wer so lange wie ich im Gefängnis war,
hat sicherlich schon so manchen innovativen Rausch erlebt. Ich habe
Selbstgebrannten aus Fruchtsaft und Brot und Bonbons getrunken; ich habe Deodorantspray
geschnüffelt; ich habe getrocknete Bananenschalen geraucht, eingedreht in einer
Seite aus der Bibel. Aber das hier war etwas ganz anderes. Das hier war echter
Wein.
    Ich lachte. Doch gleich darauf brach ich
in Schluchzen aus und beweinte tränennass, was ich verloren hatte, was mir
jetzt buchstäblich durch die Finger rann. Du kannst nur das vermissen, was du
einmal gehabt hast, und ich konnte mich kaum noch erinnern, wann leibliche
Genüsse einmal wie selbstverständlich zu meinem Leben gehört hatten. Ich füllte
eine Plastiktasse mit Wein und trank sie in einem Zug leer, wieder und wieder,
bis ich leichter vergessen konnte, dass außergewöhnliche Dinge zwangsläufig
irgendwann enden - eine Lektion, über die ich bei meiner Vergangenheit
Vorträge hätte halten können.
    Inzwischen hatten die Aufseher gemerkt,
dass mit der Wasserleitung irgendwas nicht stimmte. Zwei von ihnen kamen wutschäumend
in den Block und blieben vor meiner Zelle stehen. »Du da«, sagte Whitaker im
Kommandoton. »Handschellen.«
    Ich streckte brav die Hände durch die
Klappe, um sie mir fesseln zu lassen, damit Whitaker, sobald er die Türen
entriegelt hatte, in meiner Zelle nach dem Rechten sehen konnte, während Smythe
auf mich aufpaßte. Ich sah mit einem Blick über die Schulter, wie Whitaker den
kleinen Finger erst in den strömenden Wein und dann an seine Zunge hielt.
»Lucius«, sagte er, »was ist das?«
    »Zuerst hab ich gedacht, es wäre ein
Cabernet«, erwiderte ich. »Aber jetzt neige ich eher zu einem billigen Merlot.«
    »Das Wasser kommt von den Stadtwerken«,
sagte Smythe. »Da können die Häftlinge nicht dran rumhantieren.«
    »Vielleicht ist es ein Wunder«, sagte
Crash. »Mit Wundern kennen Sie sich doch aus, Aufseher Papst, nicht wahr?«
    Meine Zellentür wurde geschlossen, und
man nahm mir die Handschellen ab. Whitaker verharrte auf dem Laufgang vor
unseren Zellen. »Wer war das?«, fragte er, doch niemand sagte etwas. »Wer ist
dafür verantwortlich?«
    »Interessiert doch keinen«, rief Crash.
    »Eines garantier ich euch, wenn ihr nicht
damit rausrückt, wer das war, lass ich euch für eine Woche das Wasser
abdrehen«, drohte Whitaker.
    Crash lachte. »Das wird ein gefundenes
Fressen für die Bürgerrechtler, Whit.«
    Begleitet von unser aller Gelächter,
stürmten die Aufseher davon. Sachen, die eigentlich gar nicht komisch waren,
wurden auf einmal lustig, sogar aus dem Munde von Crash. Irgendwann tröpfelte
der Wein nur noch und versiegte dann ganz, doch da hatte Pogie längst im
Vollrausch das Bewußtsein verloren, Texas und Joey sangen »Danny Boy« im Duett,
und auch ich dämmerte langsam weg. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist,
dass Shay Calloway fragte, wie er seinen Vogel nennen würde, und an Calloways
Antwort: Batman. Und dass Calloway Shay zum Wettsaufen aufforderte, worauf Shay
erwiderte, er gebe sich gleich geschlagen, er trinke nämlich keinen Alkohol.
     
    Nach der Verwandlung des

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