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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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dem Gang waren, zückte
Gordon sein Handy, und ich strebte nach unten zur Gerichtszelle, in der Shay
wahrscheinlich noch untergebracht war. Mit jedem Schritt wurde ich ein wenig
langsamer. Was sollte ich zu dem Mann sagen, dessen baldigen Tod ich praktisch
in die Wege geleitet hatte?
    Er lag auf der Metallpritsche in der
Zelle, mit dem Gesicht zur Wand. »Shay«, sagte ich, »alles in Ordnung?«
    Er drehte sich zu mir um und grinste.
»Sie haben es geschafft.«
    Ich schluckte. »Ja. Sieht so aus.« Ich
hatte meinem Mandanten die gewünschte Gerichtsentscheidung verschafft, wieso
bloß war mir speiübel?
    »Haben Sie es ihr schon gesagt?«
    Er meinte June Nealon oder Ciaire Nealon
- was bedeutete, dass auch Father Michael noch nicht die Traute gehabt hatte,
Shay die Wahrheit zu sagen. Ich nahm einen Stuhl und setzte mich direkt vor das
Gitter. »Ich habe heute Morgen mit June gesprochen«, sagte ich. »Sie hat
gesagt, sie will Ihr Herz nicht nehmen.«
    »Aber der Arzt hat gesagt, es passt
hundertprozentig.«
    »Es geht nicht darum, dass es nicht
passt, Shay«, sagte ich leise. »Es geht darum, dass sie es nicht will.«
    »Ich hab doch gemacht, was ich machen
sollte!«, rief Shay. »Alles!«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Aber noch mal,
das muss nicht das Ende bedeuten. Wir können nachsehen, welche Beweismittel vom
Tatort noch vorhanden sind und -«
    »Ich hab nicht mit Ihnen gesprochen«, sagte
Shay. »Und ich will nicht, dass Sie noch irgendwas für mich tun. Ich will
nicht, dass Beweismittel neu überprüft werden. Wie oft muss ich Ihnen das denn
noch sagen?«
    Ich nickte. »Tut mir leid. Es ist nur...
schwer für mich, Sie in Ihrem Todeswunsch zu unterstützen.«
    Shay blickte mich an. »Es hat Sie keiner
drum gebeten«, sagte er lapidar.
    Er hatte recht, nicht wahr? Shay hatte
mich nicht gebeten, seinen Fall zu übernehmen. Ich hatte mich wie ein
Racheengel auf ihn gestürzt und ihn überzeugt, das, was ich wollte, könnte ihm
irgendwie zu dem verhelfen, was er selbst wollte. Und ich hatte recht behalten
- ich hatte das Thema Todesstrafe wieder in die Medien gebracht, und ich hatte
ihm das Recht verschafft, gehängt zu werden. Ich hatte nur nicht damit
gerechnet, dass mir dieser Sieg so dermaßen wie eine Niederlage vorkommen
würde.
    »Der Richter hat... es Ihnen ermöglicht,
Ihr Herz zu spenden ... danach. Und selbst wenn Ciaire Nealon es nicht will,
Tausende von Menschen in diesem Land wollen es mit Sicherheit.«
    Shay ließ sich auf die Pritsche sinken.
»Soll es haben, wer will«, murmelte er. »Ist jetzt eh egal.«
    »Tut mir leid, Shay. Ich wünschte, ich
wüßte, warum sie ihre Meinung geändert hat.«
    Seine Augen schlossen sich. »Ich
wünschte, Sie wüßten, wie man sie wieder umstimmen kann.«
     
    MICHAEL
     
    Priester gewöhnen sich an den Umgang mit
Tod, aber das macht es für sie nicht einfacher. Selbst jetzt, wo der Richter
die Vollstreckungsmethode in Erhängen umgewandelt hatte, galt es dennoch, ein
Testament aufzusetzen, einen Leichnam zu bestatten.
    Während ich im Anmeldebereich der
Strafanstalt auf grünes Licht wartete, Shay besuchen zu können, lauschte ich
auf die Unruhe draußen vor dem Eingang. Das war nichts Neues; aber so kurz vor
Shays Exekutionstermin war die Menschenmenge noch einmal sprunghaft
angewachsen. »Sie verstehen nicht«, sagte eine flehende Frauenstimme. »Ich muss
ihn sehen.«
    »Da sind Sie nicht die Einzige«, sagte
der Aufseher.
    Ich blickte zum Fenster, versuchte, das
Gesicht der Frau zu erkennen. Es wurde durch ein schwarzes Tuch halb verdeckt.
Ihr Kleid war knöchellang, und die Ärmel reichten bis zu den Handgelenken. Ich
eilte nach draußen und stellte mich hinter die Absperrung der
Gefängnismitarbeiter. »Grace?«
    Shays Schwester blickte auf, Tränen in
den Augen. »Die wollen mich nicht reinlassen. Ich muss zu ihm.«
    Ich streckte ihr die Hand hin und zog sie
zu mir. »Sie gehört zu mir«, sagte ich.
    »Sie steht aber nicht auf Bournes
Besucherliste«, sagte einer der Wachmänner.
    »Muss sie auch nicht«, sagte ich. »Wir
wollen nämlich zum Direktor.«
     
    Ich hatte keine Ahnung, wie ich für sie
unangemeldet eine Besuchserlaubnis bekommen sollte, aber ich setzte einfach
darauf, dass die Vorschriften für einen Häftling in der Todeszelle gelockert
würden. Und falls nicht, würde ich mit Engelszungen auf den Direktor einreden.
    Wie sich herausstellte, war Direktor
Coyne jedoch aufgeschlossener, als ich gedacht hatte. Er studierte Grace'
Ausweis, rief im

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