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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Schwachstellen zu verbergen, wenn man, nun ja, nichts
anhat.
    Er folgte mir in die Küche, wo ich uns
beiden Schüsseln mit Kaninchenfutter füllte (seine mit richtigem, meine mit
Müsli). Dann hoppelte er zu seiner Streukiste neben dem Käfig, wo er den ganzen
Tag verschlafen würde.
    Ich hatte mein Kaninchen nach Oliver
Wendeil Holmes jr. benannt, dem berühmten Richter am Obersten Bundesgericht. Er
hatte einmal gesagt: »Selbst ein Hund weiß, dass es ein Unterschied ist, ob du
getreten wirst oder jemand über dich stolpert.« Kaninchen kannten den
Unterschied auch. Genau wie meine Mandanten übrigens.
    »Tu nichts, was ich nicht tun würde«,
warnte ich Oliver. »Das heißt, kein Rumknabbern an den Küchenhockerbeinen.«
    Ich nahm meine Schlüssel und eilte nach
draußen zu meinem Toyota Prius. Ich hatte letztes Jahr fast meine ganzen
Ersparnisse für das Hybridauto geopfert. Ehrlich gesagt, es war mir ein Rätsel,
warum Autohersteller von Käufern mit einem Mindestmaß an sozialem Gewissen
einen Aufpreis verlangten. Der Wagen hatte keinen Allradantrieb, was im Winter
in New Hampshire reichlich unpraktisch war, aber ich fand, die Ozonschicht war
es wert, ab und an mal von der Straße zu schlittern.
    Meine Eltern waren vor sieben Jahren nach
Lynley gezogen - sechsundzwanzig Meilen östlich von Concord -, als mein Vater
Rabbi in der dortigen Beth-Or-Synagoge wurde. Der Haken war, dass es gar keine
Synagoge gab: Seine Gemeinde traf sich freitags abends zum Gottesdienst in der
Cafeteria der Mittelschule, weil die einstige Synagoge abgebrannt war. Der
Plan war gewesen, Geld für einen Neubau zu sammeln, doch mein Vater hatte die
Größe der Gemeinde im ländlichen New Hampshire überschätzt, und obwohl er mir
versicherte, sie wären kurz davor, irgendwo ein Grundstück zu kaufen, war ich
keineswegs davon überzeugt. Mittlerweile jedenfalls hatte sich die Gemeinde
daran gewöhnt, dass die Tora-Lesungen regelmäßig von Jubelgeschrei
unterbrochen wurden, wenn in der Turnhalle am Ende des Flurs ein
Basketballspiel stattfand.
     
    Die größte Spende für die Synagoge meines
Vaters kam einmal im Jahr vom ChutZpah, einer Oase für Geist, Körper und Seele,
genauer gesagt, einem Wellnessstudio, das meiner Mutter gehörte. Obwohl ihre
Kundschaft nicht konfessionsgebunden war, hatte sie durch Mundpropaganda unter
den Frauen im Umkreis der Synagoge einen guten Ruf erlangt, und ihre Kundinnen
reisten zum Teil aus New York, Connecticut und sogar Maryland an, um sich zu
entspannen und zu regenerieren. Meine Mutter benutzte Salz aus dem Toten Meer
fürs Körperpeeling. Ihre Küche war koscher. Abonniert hatte sie das Boston Magazine, die New York Times und
den Luxury SpaFinder.
    An jedem zweiten Dienstag im Monat fuhr
ich zum Wellnessstudio, wo ich kostenlos eine Massage, eine kosmetische Gesichtsbehandlung
und eine Pediküre erhielt. Der Haken war bloß, dass ich anschließend ein
Mittagessen mit meiner Mutter durchstehen musste. Wir hatten eine Routine
entwickelt. Wenn unser Passionsfruchteistee serviert wurde, hatten wir das
Thema »Warum rufst du nie an« abgehakt. Beim Salat ging es um das Thema »Ehe du
mich zur Großmutter machst, bin ich längst unter der Erde«. Der Hauptgang war
dann - passenderweise - meinem Gewicht gewidmet. Es versteht sich von selbst,
dass wir es nie bis zum Dessert schafften.
    Das ChutZpah war weiß. Nicht bloß weiß,
sondern beängstigend ich-trau-mich-nicht-zu-atmen-weiß: weißer Teppichboden,
weiße Bademäntel, weiße Badeschlappen. Mir ist schleierhaft, wie meine Mutter
es schaffte, dass im Studio immer alles blitzsauber war, wo doch in unserem
Haus meine ganze Kindheit und Jugend hindurch immer eine gemütliche Unordnung
geherrscht hatte.
    Mein Vater sagt, es gebe einen Gott, aber
für mich ist das letzte Wort in dieser Sache noch nicht gesprochen. Was nicht
heißen soll, dass ich ein Wunder dann und wann nicht zu schätzen wüßte - wie
zum Beispiel als ich im Studio ankam und die Frau am Empfang mir mitteilte,
dass meine Mutter unseren gemeinsamen Lunch leider ausfallen lassen müsse,
wegen eines überraschend angesetzten Termins bei einem Orchideengroßhändler.
    »Aber sie hat gesagt, Sie sollten auf
keinen Fall auf Ihre Anwendungen verzichten«, sagte sie. »DeeDee ist heute für
Sie da, und Sie haben Spind Nummer zweihundertzwanzig.«
    Ich nahm den Bademantel und die
Schlappen, die sie mir reichte. Spind 220 war in einer Reihe mit fünfzig
anderen, und etliche sportliche Frauen

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