Das Herz ihrer Tochter
mittleren Alters schälten sich gerade
aus ihren Yogaklamotten. Ich fegte an ihnen vorbei in die nächste Reihe von
Spinden, eine, die wohltuend leer war. Wenn jemand sich beschwerte, dass ich
statt dessen Spind 664 nahm, würde meine Mutter bestimmt nicht den Kontakt mit
mir abbrechen. Ich tippte meinen Schlüsselcode ein - 2358, für ACLU -, holte
zur Stärkung einmal tief Luft und blickte tunlichst nicht in den Spiegel, als
ich vorbeiging.
Es gab nicht viel, was mir an meinem
Aussehen gefiel. Ich hatte Rundungen, aber durchweg an den falschen Stellen,
wie ich fand. Meine Haare waren ein Wirbelsturm aus dunklen Locken, was sexy
hätte sein können, wenn sie bloß nicht so kraus gewesen wären. Ich hatte
gelesen, dass Gästen der Oprah-Winfrey-Show von Stylisten in der Maske die Haare
geglättet wurden, weil Locken einen im Fernsehen zehn Pfund schwerer wirken
ließen. Das hieß also, dass meine Haare mich noch dicker aussehen ließen, als
ich ohnehin schon war. Meine Augen waren ganz passabel - normalerweise
schlammfarben, grün, wenn ich Lust auf Verschönerung hatte -, doch vor allen
Dingen brachten sie den Teil von mir zur Geltung, auf den ich stolz war: meinen
Verstand. Ich hatte vielleicht nicht das Zeug zum Model, aber ich war nicht auf
den Kopf gefallen.
Das Problem war bloß, dass nie mal einer
sagte: »Wahnsinn, guck dir die Frau an, die hat was in der Birne.«
Mein Vater hatte mir immer das Gefühl
gegeben, etwas Besonderes zu sein, aber wenn ich meine Mutter sah, fragte ich
mich jedes Mal, wieso ich nicht ihre Wespentaille und das glatte Haar geerbt
hatte. Als Kind wollte ich immer nur wie sie sein, als Erwachsene hatte ich
den Versuch aufgegeben.
Seufzend betrat ich den Whirlpoolbereich:
eine weiße Oase, umgeben von weißen Korbbänken, wo überwiegend weiße Frauen
darauf warteten, von weiß gekleideten Therapeutinnen aufgerufen zu werden.
DeeDee erschien in ihrer makellosen
Jacke, lächelnd. »Sie müssen Maggie sein«, sagte sie. »Sie sehen genauso aus,
wie Ihre Mutter Sie beschrieben hat.«
Ich würde den Köder nicht schlucken.
»Guten Tag.« Die Verhaltensregeln für diesen Teil des Erlebnisses wollten mir
nie so richtig einleuchten - man sagte Hallo und zog sich dann unverzüglich
aus, um sich von einer Wildfremden anfassen zu lassen ... und dafür bezahlte
man auch noch. Täuschte ich mich, oder hatten Wellnessanwendungen und
Prostitution etwas gemeinsam?
»Sie freuen sich bestimmt schon auf Ihr
Hohelied-Salomo-Wrapping?«
»Eine Wurzelbehandlung wäre mir lieber.«
DeeDee grinste. »Ihre Mutter hat mich
schon vorgewarnt, dass Sie so was sagen würden.«
Falls Sie noch nie das Vergnügen eines
Body-Wrappings hatten - es ist eine einzigartige Erfahrung. Man liegt
eingewickelt in ein riesiges Stück Klarsichtfolie auf einem bequemen Tisch, und
man ist nackt. Splitterfasernackt. Klar, die Beauty-Mitarbeiterin legt einem
einen Miniwaschlappen auf die Intimzone, wenn sie einen abrubbelt, und sie
setzt ein Pokerface auf, das nicht verrät, ob sie insgeheim Ihren
Body-Mass-Index errechnet - aber dennoch, man ist sich seines Körpers quälend
bewußt, und wenn nur, weil jemand ihn eigenhändig und gleichzeitig miterlebt.
Ich zwang mich, die Augen zu schließen
und mir in Erinnerung zu rufen, dass man sich, wenn man unter einer
Vichy-Dusche liegt, wie eine Königin fühlen sollte - und nicht wie ein
Pflegefall.
»Und, DeeDee«, sagte ich. »Wie lange
machen Sie das schon?«
Sie entrollte ein Handtuch und hielt es
wie einen Sichtschutz, während ich mich auf den Rücken rollte. »Ich arbeite
seit sechs Jahren in der Wellnessbranche, aber hier hab ich erst kürzlich
angefangen.«
»Sie müssen gut sein«, sagte ich. »Mit
Stümpern gibt sich meine Mutter nicht ab.«
Sie zuckte die
Achseln. »Ich lern gern Leute kennen.« Ich lern auch gern Leute kennen, aber
sie sollten vollständig bekleidet sein.
»Was machen Sie
beruflich?«, fragte DeeDee. »Hat meine Mutter Ihnen das nicht erzählt?“
»Nein ... sie hat bloß
gesagt -« Sie verstummte abrupt. »Was hat sie gesagt?«
»Sie hat gesagt, ahm, ich sollte eine
Extraportion Seetang für das Peeling nehmen.«
»Sie meinen, sie hat gesagt, ich würde
die doppelte Menge brauchen.«
»Sie hat nicht -«
»Hat sie das Wort mollig benutzt?«, fragte ich.
Als DeeDee keine Antwort gab - klugerweise -, blinzelte ich in das gedämpfte
Licht an der Decke, lauschte ein paar Takte lang Yannis Klaviermusik aus der
Konserve und seufzte dann. »Ich
Weitere Kostenlose Bücher