Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
bin Anwältin bei der ACLU.«
    »Echt?« DeeDees Hand verharrte auf meinen
Füßen. »Übernehmen Sie auch schon mal Fälle für, äh, umsonst?«
    »Ich hab nur
kostenlose Fälle.«
    »Dann haben Sie doch sicher auch von dem
Typen im Todestrakt gehört... Shay Bourne? Ich schreibe ihm seit zehn Jahren,
seit der achten Klasse, da hatten wir in Sozialkunde so ein Projekt. Jetzt ist
gerade seine letzte Berufung vom Obersten Bundesgericht abgelehnt worden.«
    »Ich weiß«, sagte ich. »Ich habe
Schriftsätze zu seinen Gunsten formuliert.«
    DeeDees Augen wurden groß. »Dann sind Sie
seine Anwältin?«
    »Äh ... nein.« Ich wohnte noch gar nicht
in New Hampshire, als Bourne verurteilt wurde, aber als
Bürgerrechtsorganisation setzte sich die ACLU für zum Tode verurteilte Häftlinge
ein. Wer besonderes Interesse an einem Fall hat, ohne selbst unmittelbar
beteiligt zu sein, kann in den USA unter bestimmten Umständen als sogenannter Arnims Curiae, als
Berater des Gerichts, tätig werden. Das bedeutet, dass das Gericht ihm
Gelegenheit gibt, seine Meinung zu dem Fall darzulegen, wenn diese bei der Entscheidungsfindung
hilfreich sein kann. Meine Amicus-Schriftsätze legten dar, wie unhaltbar die
Todesstrafe war, und definierten sie als grausame, unübliche Strafform, als
verfassungswidrig. Ich bin überzeugt, der Richter warf allenfalls einen kurzen
Blick auf meine Fleißarbeit und beförderte sie in den Papierkorb.
    »Können Sie ihm nicht irgendwie helfen?«,
fragte DeeDee.
    Die Wahrheit war, nachdem die letzte
Berufung vom Obersten Bundesgericht abgelehnt worden war, gab es kaum noch
etwas, das irgendein Anwalt für ihn tun konnte.
    »Wissen Sie was? Ich schau mir die Sache
noch mal an«, versprach ich.
    DeeDee lächelte und wickelte mich in
warme Decken, bis ich mich fühlte wie ein Burrito. Dann setzte sie sich hinter
mich und schob die Finger in mein Haar. Während sie mir die Kopfhaut
massierte, fielen mir die Augen zu.
    »Die sagen, es ist schmerzlos«, murmelte
DeeDee. »Die Todesspritze.«
    »Die: das System, die Gesetzgeber, diejenigen, die ihre Schuldgefühle mit
Rhetorik lindern. Nur weil ihnen hinterher keiner mehr sagen kann, dass es
nicht stimmt«, sagte ich. Ich stellte mir vor, wie Shay Bourne die Nachricht
seines nun bald bevorstehenden Todes mitgeteilt wurde. Ich stellte mir vor,
auf genauso einem Tisch zu liegen wie diesem hier und eingeschläfert zu werden.
    Plötzlich konnte ich nicht mehr atmen.
Die Decken waren zu warm, die Cremeschicht auf meiner Haut zu dick. Ich wollte
raus aus dem Kokon und fing an, mich frei zu kämpfen.
    »Hoppla«, sagte DeeDee. »Warten Sie, ich
helf Ihnen.« Sie schälte mich aus den Decken und reichte mir ein Handtuch.
»Ihre Mutter hat nichts davon gesagt, dass Sie klaustrophobisch sind.«
    Ich setzte mich auf, schnappte gierig
nach Luft. Natürlich nicht, dachte ich. Weil
sie ja diejenige ist, die mich erstickt.
     
    LUCIUS
     
    Es war später Nachmittag, kurz vor
Schichtwechsel, und in unserem Block war es relativ still. Ich hatte mich den
ganzen Tag schlecht gefühlt und dämmerte fiebrig vor mich hin. Calloway, der
normalerweise mit mir Schach spielte, hatte statt dessen Shay als Gegner
gewonnen. »Läufer schlägt a6«, rief Calloway. Er war ein bigotter Rassist, aber
er war auch der beste Schachspieler, der mir je begegnet ist.
    Tagsüber hockte Batman das Rotkehlchen in
Calloways Brusttasche, ein winziger kleiner Knubbel. Manchmal kroch der Vogel
ihm auf die Schulter und pickte an den Narben auf seiner Kopfhaut herum.
Außerdem hatte Calloway für Batman ein Versteck gebastelt: eine
Taschenbuchausgabe von Stephen Kings Das
letzte Gefecht, die er ausgehöhlt und
mit Papiertaschentüchern weich ausgelegt hatte. Das Rotkehlchen aß
Kartoffelbrei; Calloway tauschte so kostbare Dinge wie Kreppband und Zwirn und
sogar einen selbst gebastelten Handschellenschlüssel gegen Extraportionen ein.
    »He«, sagte Calloway. »Wir haben gar
keinen Wetteinsatz für diese Partie festgelegt.«
    Crash lachte. »Nicht mal Bourne ist so
blöd, gegen dich zu wetten, wenn er verliert.«
    »Was hast du, was ich gern hätte?«,
überlegte Calloway.
    »Intelligenz?«, schlug ich vor. »Gesunden
Menschenverstand?«
    »Halt dich da raus, Schwuchtel.« Calloway
dachte einen Moment nach. »Den Brownie. Ich will den verdammten Brownie.«
    Der Brownie war inzwischen zwei Tage alt.
Ich bezweifelte, dass Calloway auch nur ein Stück davon abbeißen könnte. Ihn
reizte es vor allem, Shay den Brownie

Weitere Kostenlose Bücher