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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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nichts gefunden - nicht einmal eine
Angelschnur.«
    Ich starrte Shay an. Natürlich hatte er
geangelt. Ich hatte die Schnur doch mit eigenen Augen gesehen. Ich hatte das
Kaugummi eigenhändig davon abgebunden.
    »Ich hab Sie im Auge, Bourne«, zischte
der Direktor. »Ich weiß, was Sie im Schilde führen. Sie wissen verdammt gut,
dass Ihr Herz nichts mehr wert ist, wenn es in der Todeskammer mit
Kaliumchlorid vollgepumpt wurde. Sie machen das, weil Sie keine Berufung mehr
einlegen können, aber auch wenn Ihnen das Fernsehen noch so viel Sympathie in
der Öffentlichkeit verschafft, an Ihrem Hinrichtungstermin ändert das nichts
mehr.«
    Der Direktor machte kehrt und marschierte
aus dem Block. Aufseher Whitaker löste Shays Handschellen von der Stange, an
die er gefesselt war, und führte ihn zurück in seine Zelle. »Hör mal, Bourne.
Ich bin Katholik.«
    »Schön für Sie«, erwiderte Shay.
    »Ich dachte, Katholiken sind gegen die
Todesstrafe«, rief Crash.
    »Ja, genau«, raunte Texas.
    Whitaker blickte zum Ausgang von Block I,
wo der Direktor hinter der schalldichten Scheibe stand und mit einem anderen
Aufseher sprach. »Ich meine ... wenn du willst... ich könnte einen der Priester
von St. Catherine bitten, dich zu besuchen.« Er stockte. »Vielleicht kann er
dir mit der Herzgeschichte helfen.«
    Shay starrte ihn an. »Wieso sollten Sie
das für mich tun?«
    Der Aufseher griff oben in sein Hemd und
zog eine Kette mit einem Kruzifix heraus. Er hob es kurz an die Lippen, ließ es
dann wieder unter seine Uniform gleiten. »Wer an mich glaubt«, sagte Whitaker
leiser, »glaubt nicht an mich, sondern an den, der mich gesandt hat.«
    Whitaker hatte aus der Bibel zitiert, das
war eindeutig, auch wenn man sie nicht auswendig konnte, und es war auch klar,
warum Whitaker es getan hatte: Shays Kunststückchen, oder wie immer man sie
nennen wollte, waren ein Geschenk des Himmels. Ich begriff, dass Shay, obwohl
er hier im Knast saß, dennoch eine gewisse Macht über Whitaker hatte. Er hatte
über uns alle eine gewisse Macht. Shay Bourne war etwas gelungen, das weder
rohe Gewalt noch Machtspielchen, noch Bedrohungen durch eine Gang in all den
Jahren, die ich hier einsaß, geschafft hatten: Er hatte uns zusammengebracht.
    Nebenan räumte Shay langsam seine Zelle
wieder auf. Die Nachrichtensendung brachte zum Schluss Bilder von der Strafanstalt
aus der Vogelperspektive. Die Aufnahmen waren aus einem Hubschrauber gemacht
worden und zeigten, wie groß die Menschenansammlung inzwischen geworden war,
wie viele Leute unterwegs waren.
    Ich setzte mich aufs Bett. Es war nicht
möglich, oder?
    Meine eigenen Worte an Alma fielen mir
wieder ein: £5 ist nicht wahrscheinlich. Möglich ist alles.
    Ich holte meine Zeichenutensilien aus dem
Versteck in der Matratze, blätterte die Skizzen durch, bis ich die fand, die
ich von Shay nach seinem Krampfanfall gemacht hatte. Ich hatte ihn auf der
Rolltrage gezeichnet, die Arme ausgebreitet und festgeschnallt, die Beine
zusammengebunden, die Augen zur Decke gehoben. Ich drehte das Blatt um neunzig
Grad. So sah es nicht mehr so aus, als würde Shay liegen. Es sah aus, als wäre
er gekreuzigt worden.
    Es kam ständig vor, dass Menschen im
Knast zu Jesus fanden. Was, wenn er selbst da war?
    Ich will nicht durch
mein Werk Unsterblichkeit erreichen, sondern dadurch, dass ich nicht sterbe.
     
    Woody Allen
     
    MAGGIE
     
    Ich war für viele Dinge dankbar, zum
Beispiel dafür, nicht mehr auf der Highschool zu sein. Die Schulzeit war nicht
gerade ein Zuckerschlecken für ein Mädchen, das nicht zu den Schlanksten zählte
und deshalb ständig bemüht war, sich möglichst unsichtbar zu machen. Heute war
ich wieder einmal in einer Highschool, es waren zehn Jahre vergangen, und ich
war nicht als Schülerin hier, aber wieder holte mich die Angst von damals ein.
Es spielte keine Rolle, dass ich mein Jones-New-York-Kostüm trug, mit dem ich
normalerweise im Gerichtssaal erschien; es spielte keine Rolle, dass ich alt
genug war, um für eine Lehrerin gehalten zu werden - ich rechnete irgendwie
nach wie vor damit, dass jeden Moment irgendeine Sportskanone um die Ecke bog
und einen Dickenwitz machte.
    Topher Renfrew, der Junge, der in der
Lobby der Highschool neben mir saß, trug eine schwarze Jeans, ein ausgefranstes
T-Shirt mit einem Anarchiesymbol und ein Gitarrenplektrum an einem Lederband um
den Hals. Der fleischgewordene Nonkonformismus. Der Kopfhörer seines iPods
hing ihm auf der Brust wie das Stethoskop eines

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