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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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»Also muss ich sterben.«
    Endlich etwas, woran ich anknüpfen
konnte. »Sie werden leben«, sagte ich. »Im Reich des himmlischen Vaters. Ganz
gleich, was hier geschieht. Und ganz gleich, ob Sie Ihre Organe spenden können
oder nicht.«
    Plötzlich verdunkelte sich sein Gesicht.
»Was soll das heißen, ganz gleich, ob ich spenden kann oder nicht?«
    »Nun ja, die Sache ist
kompliziert...«
    »Ich muss ihr mein
Herz geben. Ich muss es einfach.«
    »Wem?«
    »Ciaire Nealon.«
    Mein Mund klappte auf. Dieses besondere
Detail von Shays Anliegen hatte es nicht in die Fernsehnachrichten geschafft. »Nealon? Ist sie verwandt mit
Elizabeth?« Zu spät begriff ich, dass ein Durchschnittsmensch - einer, der
nicht Geschworener in Shays Prozess gewesen war - den Namen nicht unbedingt kennen
und so schnell eine Verbindung herstellen würde. Aber Shay merkte vor lauter
Aufregung nichts.
    »Sie ist die Schwester des getöteten
Mädchens. Sie hat ein krankes Herz. Hab ich im Fernsehen gesehen. Was in mir
ist, wird mich retten«, sagte Shay. »Wenn ich es nicht hervorbringe, wird es
mich töten.«
    Wir machten denselben Fehler, Shay und
ich. Wir glaubten beide, ein früheres Unrecht ließe sich durch eine spätere
gute Tat wiedergutmachen. Aber wenn er Ciaire Nealon sein Herz gab, wurde ihre
Schwester dadurch nicht wieder lebendig. Und dass ich Shay Bournes Seelsorger
war, würde nicht die Tatsache aus der Welt schaffen, dass er auch meinetwegen
in der Todeszelle saß.
    »Eine Organspende bringt Ihnen keine
Erlösung, Shay. Sie finden nur dann Erlösung, wenn Sie Ihre Schuld gestehen
und Absolution durch Jesus suchen.«
    »Was damals geschah, zählt heute nicht
mehr.«
    »Sie müssen keine Angst davor haben,
Verantwortung zu übernehmen; Gott liebt uns, auch wenn wir Fehler machen.«
    »Ich konnte es nicht verhindern«, sagte
Shay. »Aber diesmal kann ich es richtig machen.«
    »Überlassen Sie das Gott«, sagte ich.
»Sagen Sie Ihm, Sie bereuen, was Sie getan haben, und Er wird Ihnen vergeben.«
    »Auf jeden Fall?«
    »Auf jeden Fall.«
    »Wieso muss man dann vorher sagen, dass
es einem leid tut?«
    Ich zögerte, überlegte, wie ich Shay das
mit der Sünde und der Erlösung besser erklären konnte. Es war eine Art
Geschäft: Du machst ein Geständnis, dafür werden deine Sünden getilgt. In Shays
Erlösungsökonomie gibst du ein Stück von dir ab - und wirst dadurch irgendwie
wieder ganz.
    Waren die beiden Vorstellungen wirklich
so unterschiedlich?
    Ich schüttelte den Kopf, um wieder einen
klaren Gedanken fassen zu können.
    »Lucius ist Atheist«, sagte Shay. »Stimmt's,
Lucius?«
    Von nebenan ertönte Lucius' gemurmelte
Stimme: »Jaja.«
    »Und er ist nicht gestorben. Er war krank
und ist wieder gesund.«
    Der Aidspatient; das Fernsehen hatte über
ihn berichtet. »Haben Sie was damit zu tun?“
    »Ich hab nichts gemacht.“
    »Lucius, sehen Sie das auch so?«
    Ich lehnte mich zurück, um Blickkontakt
mit dem anderen Häftling herstellen zu können, einem schlanken Mann mit einem
weißen Haarschopf. »Ich denke, wenn einer was damit zu tun hatte, dann Shay.«
    »Lucius soll denken, was er will«, sagte
Shay.
    »Was ist mit den Wundern?«, fügte Lucius
hinzu.
    »Was für Wunder?«, sagte Shay.

Mir wurde klar, dass Shay Bourne nicht
behauptete, der Messias oder Jesus zu sein oder irgend jemand anderer als er
selbst. Und dass er ernsthaft dem Irrglauben anhing, dass er nur dann in
Frieden ruhen würde, wenn er Ciaire Nealon sein Herz spenden konnte.
    »Hören Sie«, sagte Lucius. »Helfen Sie
ihm nun oder nicht?«
    Vielleicht konnte keiner von uns das Unrecht
der Vergangenheit wiedergutmachen, aber wir konnten trotzdem versuchen, in der
Zukunft etwas Gutes zu bewirken. Ich schloss die Augen und stellte mir vor, der
letzte Mensch zu sein, mit dem Shay Bourne sprach, ehe der Staat New Hampshire
ihn hinrichtete. Ich stellte mir vor, eine Bibelpassage auszuwählen, die etwas
in ihm bewegte, ein tröstendes Gebet in seinen letzten Minuten. Das konnte ich
für ihn tun. Ich konnte der Mensch sein, der ich jetzt für ihn sein musste,
weil ich es damals vor elf Jahren nicht gewesen war. »Shay«, sagte ich, »zu
wissen, dass Ihr Herz in einem anderen Menschen schlägt, ist keine Erlösung.
Das ist Altruismus. Erlösung ist Heimkehren. Die Erkenntnis, dass Sie sich Gott
nicht beweisen müssen.«
    »Ach, du liebe Zeit«, schnaubte Lucius.
»Hör nicht auf ihn, Shay.«
    Ich drehte mich zu ihm um. »Würden Sie
sich bitte raushalten?« Dann

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