Das Herz ihrer Tochter
wünschte, ich wäre jemand ganz anderer.
»Ich bin Dr. Gallagher«, sagte er und
setzte sich auf einen Hocker. »Wie lange haben Sie die Beschwerden schon?«
»Na ja«, begann ich. »Ehrlich gesagt,
geht's mir prima.«
»Dann war der Blinddarm also blinder
Alarm?«
Wie humorvoll! Na ja, Brite eben ...
»Ich schau Sie mir trotzdem lieber mal
an«, sagte er. Er stand auf, steckte sich sein Stethoskop in die Ohren und
schob mir das Endstück unter die Bluse. Ich konnte mich nicht erinnern, wann
mir zuletzt ein Mann unter die Bluse gefasst hatte. »Einfach ruhig atmen«,
sagte er.
Ja, klar.
»Im Ernst«, sagte ich. »Mir fehlt
nichts.“
»Würden Sie sich bitte hinlegen ...«
Das riss mich brutal in die Wirklichkeit
zurück. Sobald er mir den Bauch abtastete, würde er nicht nur merken, dass mit
meinem Blinddarm alles in Ordnung war... er würde wahrscheinlich auch
feststellen können, dass ich mir bei Dunkin' Donuts zum Frühstück zwei Donuts
gegönnt hatte, wo doch jeder weiß, dass man drei Tage braucht, um sie zu
verdauen - pro Stück.
»Ich hab keine Blinddarmentzündung«,
platzte ich heraus. »Das hab ich der Schwester bloß erzählt, weil ich kurz mit
einem Arzt sprechen wollte -«
»Also gut«, sagte er freundlich. »Ich
lasse Dr. Tawasaka rufen. Ich bin sicher, sie wird mit Ihnen über alles
sprechen, was Ihnen auf der Seele brennt...« Er streckte den Kopf zur Tür
hinaus. »Sue? Rufen Sie bitte auf der Psychia-«
Na toll, jetzt dachte er auch noch, ich
wäre ein Fall für die Psychiatrie. »Ich brauche keine Psychiaterin«, bremste
ich ihn rasch. »Ich bin Anwältin, und ich brauche medizinische Informationen im
Zusammenhang mit einem Mandanten.«
Ich stockte, rechnete damit, dass er den
Sicherheitsdienst rief, doch statt dessen nahm er wieder Platz und verschränkte
die Arme. »Ich höre.«
»Kennen Sie sich mit
Herztransplantationen aus?«
»Ein wenig. Aber ich sage Ihnen gleich,
falls Ihr Mandant ein Herz braucht, das geht nur über die nationale Organbank
...«
»Er braucht kein Herz. Er will eines
spenden.«
Ich sah, wie seine Miene sich veränderte,
als er begriff, dass mein Mandant der Mann in der Todeszelle sein musste. Es
gab nun mal nicht so viele Häftlinge in den Gefängnissen von New Hampshire, die
sich darum rissen, Organspender zu werden. »Er soll hingerichtet werden«, sagte
Dr. Gallagher.
»Ja. Mit der Todesspritze.«
»Dann wird er sein Herz nicht spenden
können. Ein Herzspender muss hirntot sein, die tödliche Injektion aber führt
zum Herztod. Das Herz ist dann nicht mehr funktionsfähig.«
Father Michael hatte es mir gesagt, aber
ich hatte es nicht glauben wollen.
»Wissen Sie, was interessant ist?«, sagte
der Arzt. »Soweit ich weiß, wird bei der tödlichen Injektion Kalium verwendet -
die Chemikalie, die den Herzstillstand herbeiführt. Kalium ist auch Bestandteil
der Kardioplegielösung, mit der das Spenderherz vor dem Einpflanzen perfundiert
wird. Sie legt das Herz still, solange es nicht normal durchblutet wird, bis
alles gut vernäht ist.« Er sah mich an. »Ich vermute mal, dass die
Gefängnisleitung wohl kaum mit einer Kardioektomie - einer Herzentfernung - als
Hinrichtungsmethode einverstanden wäre, was?«
Ich schüttelte den Kopf. »Die Hinrichtung
muss innerhalb der Strafanstalt durchgeführt werden.«
Er zuckte die Achseln. »Ich hätte zwar
nie gedacht, dass ich so was mal sage, aber es ist ein Jammer, dass das gute
alte Erschießungskommando abgeschafft wurde. Nach einem gezielten Schubs
bliebe ein Häftling ein idealer Organspender. Selbst Aufhängen würde
funktionieren, wenn man dem Gehängten nach Feststellung des Hirntodes an ein
Beatmungsgerät anschließen würde.« Er schauderte. »Entschuldigen Sie. Ich bin
es gewohnt, Patienten zu retten, nicht, sie theoretisch zu töten.“
»Ich verstehe.«
»Andererseits, selbst wenn er sein Herz
spenden könnte, besteht die Gefahr, dass es für den Körper eines Kindes zu
groß wäre. Hat sich damit schon mal jemand befaßt?«
Ich schüttelte den Kopf, sah Shays
Chancen noch weiter minimiert.
Der Arzt blickte auf. »Die schlechte
Nachricht ist, fürchte ich, dass Ihr Mandant Pech hat.«
»Haben Sie keine gute für mich?«
»Aber ja.« Dr. Gallagher grinste. »Sie
haben keine Blinddarmentzündung, Ms Bloom.«
»Die Sache ist die«, sagte ich zu Oliver,
nachdem ich so viel für uns beim Chinesen geholt hatte, dass eine vierköpfige
Familie davon satt geworden wäre (die Reste konnte man
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