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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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rausgefunden.«
     
    »Es gibt eine Reihe von Gründen, weshalb
ein Aidspatient im fortgeschrittenen Stadium auf einmal den Eindruck erwecken
kann, er wäre so gut wie geheilt«, sagte Dr. Perego. Als Spezialist für
Autoimmunkrankheiten am Dartmouth-Hitchcock Medical Center behandelte er auch
die HIV/Aidspatienten in der Strafanstalt von Concord und war über Lucius und
seine Genesung im Bilde. Er hatte keine Zeit für ein ausführliches Gespräch,
war aber bereit, sich mit mir zu unterhalten, wenn ich ihn von seinem Büro zu
einer Sitzung auf der anderen Seite der Klinik begleitete. Allerdings sollte
mir klar sein, dass er seine ärztliche Schweigepflicht wahren würde. »Wenn ein
Patient Medikamente hortet zum Beispiel und dann auf einmal beschließt, sie
doch zu nehmen, verschwinden Geschwüre, und sein Zustand bessert sich, weil die
Mittel ja jetzt erst helfen können. Wir nehmen den meisten Aidspatienten zudem
alle drei Monate Blut ab, aber manche weigern sich auch. Auch in solchen Fällen
kann das, was nach einer plötzlichen gesundheitlichen Verbesserung aussieht, in
Wirklichkeit eine langsame, von uns nicht beobachtete Entwicklung sein.«
    »Laut Alma, der Krankenschwester im
Gefängnis, hatte Lucius sich über sechs Monate kein Blut abnehmen lassen«,
sagte ich.
    »Weshalb wir nicht mit Sicherheit sagen
können, wie sein letzter Virusstatus aussah.« Wir hatten den Konferenzsaal
erreicht. Ärzte in weißen Kitteln strömten in den Raum und nahmen Platz. »Ich
weiß nicht genau, was Sie hören wollen«, sagte Dr. Perego mit einem traurigen
Lächeln. »Dass er was Besonderes ist... oder nichts Besonderes.«
    »Das weiß ich selbst nicht so genau«,
gestand ich und schüttelte ihm die Hand. »Danke für das Gespräch.«
    Der Arzt ging in den Saal, und ich machte
mich auf den Rückweg Richtung Tiefgarage. Als ich an den Aufzügen wartete und
gerade ein Baby anlächelte, das mit einer Klappe auf dem rechten Auge in seinem
Kinderwagen lag, spürte ich eine Hand auf der Schulter. Dr. Perego stand hinter
mir. »Gut, dass ich Sie noch erwische«, sagte er.
    Ich sah zu, wie die Mutter den
Kinderwagen in den Aufzug schob. »Was ist denn?«
    »Eines hab ich Ihnen nicht gesagt«, sagte
Dr. Perego. »Und das wissen Sie auch nicht von mir. Klar?«
    Ich nickte.
    »HIV führt zu kognitiven
Beeinträchtigungen - dauerhaftem Gedächtnisverlust und Konzentrationsschwäche.
Wir können das im Kernspin förmlich sehen, und die Tomographie von DuFresnes
Gehirn bei seiner Inhaftierung zeigte eindeutig irreparable Schäden. Gestern
jedoch wurde bei ihm erneut eine Tomographie gemacht - und die Atrophie ist
verschwunden.« Er blickte mich an, wartete, bis ich die Nachricht verarbeitet
hatte. »Die Demenz hat sich in Luft aufgelöst.“
    »Was könnte das verursacht haben?«
    Dr. Perego schüttelte den Kopf. »Absolut
nichts«, erwiderte er.
     
    Als ich Shay Bourne
das zweite Mal besuchte, lag er auf seinem Bett und schlief. Da ich ihn nicht
stören wollte, beschloss ich, wieder zu gehen, doch da sprach er mich an, ohne
die Augen zu öffnen. »Ich bin wach«, sagte er. »Sie auch?“
    »Ich denke schon«,
erwiderte ich.
    Er setzte sich auf, schwang die Beine auf
den Boden. »Wow. Ich hab geträumt, dass mich ein Blitz getroffen hat, und auf
einmal konnte ich jeden auf der Welt ausfindig machen, wann ich wollte. Und
die Regierung hat mir ein Angebot gemacht - finden Sie bin Laden, und Sie sind
ein freier Mann.«
    »Ich hab früher geträumt, ich hätte eine
Uhr, und wenn man an den Zeigern drehte, konnte man in die Vergangenheit
reisen«, sagte ich. »Ich wollte immer Pirat sein oder Wikinger.«
    »Ganz schön blutrünstig für einen
Priester.«
    »Tja, ich bin nicht als Priester auf die
Welt gekommen.«
    Er sah mir in die Augen. »Wenn ich die
Zeit zurückdrehen könnte, würde ich gern mit meinem Großvater Fliegenfischen
gehen.«
    Ich blickte auf. »Das hab ich auch mit
meinem Großvater gemacht.«
    Ich fragte mich, wie zwei Jungen ihr
Leben am selben Ausgangspunkt beginnen und so unterschiedliche Wege hatten einschlagen
können. »Mein Großvater ist schon lange tot, und ich vermisse ihn noch immer«,
gestand ich.
    »Ich habe meinen nie kennengelernt«,
sagte Shay. »Aber ich muss ja einen gehabt haben, nicht?«
    Ich sah ihn fragend an. Was für ein Leben
hatte er durchgemacht, dass er sich Erinnerungen ausdenken musste? »Wo sind
Sie aufgewachsen, Shay?«, fragte ich.
    »Das Licht«, erwiderte Shay, ohne auf
meine Frage

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