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Das Herz ihrer Tochter

Das Herz ihrer Tochter

Titel: Das Herz ihrer Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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schon alles zu hören
bekommen, und nichts davon stimmt. Was du im Gefängnis am meisten vermißt, ist
die Entscheidungsfreiheit. Du hast keinen freien Willen: Du kriegst die Haare
geschnitten wie alle anderen. Du ißt, was dir serviert wird, und eben genau
dann, wenn du es hingestellt kriegst, und du duschst und rasierst dich nur
dann, wenn du darfst. Selbst unsere Gespräche sind vorgeschrieben: Wenn dich
draußen in der realen Welt aus Versehen einer anrempelt, sagt er:
»Entschuldigung.« Wenn dich hier im Knast einer aus Versehen anrempelt, sagst
du: »Pass doch auf, du Arschloch«, ehe er auch nur den Mund aufmachen kann.
Wenn du das nicht machst, wirst du nur noch rumgeschubst.
    Der Grund, warum wir hier keine
Entscheidungsfreiheit haben, ist der, dass wir in der Vergangenheit eine
schlechte Entscheidung getroffen haben - weshalb uns Shays Versuch, nach seinen
eigenen Bedingungen zu sterben, richtig Auftrieb gab. Dieses winzige
Scheibchen Selbstbestimmung war mehr, als wir anderen hatten, auch wenn ihn
nach wie vor die Hinrichtung erwartete. Ich konnte nur davon träumen, wie sich
meine Welt verändern würde, wenn wir uns zwischen einer orangeroten
Gefängnismontur und einer gelben entscheiden könnten, wenn man uns fragen
würde, ob wir zu unserem Essenstablett gern mal richtiges Besteck hätten statt
immer nur den Plastiklöffel für alles. Aber je mehr uns die Möglichkeit einer
... na ja, Möglichkeit belebte ... desto bedrückter wurde Shay.
    »Vielleicht«, sagte er eines Nachmittags
zu mir, als die Klimaanlage den Geist aufgegeben hatte und wir alle schlaff
vor Hitze in unseren Zellen hingen, »sollte ich sie einfach machen lassen, was
sie wollen.«
    Die Aufseher hatten in einem Anflug von
Erbarmen die Tür zum Hof geöffnet, aber trotzdem regte sich kein Lüftchen.
»Wieso sagst du so was?«
    »Weil ich mich fühle, als hätte ich einen
Krieg angefangen«, sagte Shay.
    »Na, sieh mal einer an«, sagte Crash
lachend. »Gut, dass ich hier fleißig schießen übe.«
    Am Nachmittag hatte Crash sich Benadryl
gespritzt. Viele Häftlinge hatten selbst gebastelte Injektionsspritzen, die sie
nach mehrmaligem Gebrauch an einer Streichholzschachtel spitzten. Benadryl
wurde von der Krankenschwester ausgegeben, und du konntest dir einen kleinen
Vorrat anlegen. Die Kapseln wurden geöffnet und die winzigen Kügelchen darin in
einem Löffel über einem Limodosenkocher erhitzt. Es war ein High wie von Speed,
aber Pufferlösungen in dem Medikament machten einen auch kirre.
    »Wie war's, Mister Messias ... willst du
'nen Schubs?“
    »Ganz bestimmt nicht«, antwortete ich.
    »Ich glaube nicht, dass du gemeint
warst«, sagte Shay. Und dann zu Crash: »Gib mir einen.«
    Crash lachte. »Du kennst ihn anscheinend
doch nicht so gut, wie du denkst, Schwuli. Hab ich recht, Todeskandidat?«
    Crash hatte keine moralische
Orientierung. Er hatte sich der Aryan Brotherhood angeschlossen, als sie seinen
Zwecken nützte. Er sprach von Terroranschlägen; er hatte gejubelt, als wir im
Fernsehen die Türme des World Trade Center einstürzen sahen. Er hatte eine
Liste mit Opfern, sollte er je wieder auf freien Fuß kommen. Seine Kinder
sollten später Drogensüchtige oder Dealer oder Huren werden, und wenn nicht,
sagte er, wäre das für ihn eine Riesenenttäuschung. Einmal hörte ich, wie er
von einem Besuch seiner dreijährigen Tochter erzählte: Er hatte ihr gesagt, sie
solle ein anderes Kind im Kindergarten schlagen, damit er stolz auf sie sein
könne, und sich nicht eher wieder bei ihm blicken lassen. Jetzt sah ich, wie
er sein Crackbesteck zu Shay hinüberbeförderte, sorgfältig versteckt in einer
ausgehöhlten Batterie und bereits geladen mit einem Schubs Benadryl. Shay
setzte die Nadel in die Armbeuge, legte den Daumen auf den Kolben.
    Und spritzte die kostbare Droge auf den
Boden des Laufgangs. »Du Arschloch!«, tobte Crash. »Los, her damit!“
    »Hast du nicht gehört? Ich bin Jesus. Ich
muss dich retten«, sagte Shay.
    »Ich will nicht gerettet werden«, brüllte
Crash. »Ich will mein Besteck wiederhaben!«
    »Komm und hol's dir«, sagte Shay und
schob das Besteck unter seiner Tür hindurch mitten auf den Laufgang. »Hey,
Aufseher«, rief er. »Kommt und seht euch an, was Crash gebastelt hat.«
    Als die Aufseher das Besteck konfisziert
und Crash zu einem Abstecher in die Isolationszelle verdonnert hatten, schlug
er krachend mit der Hand gegen die Metalltür. »Ich schwöre dir, Bourne, wenn
du am wenigsten damit

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